Hör’ mal, wer da spricht

25. April 2017

Einigen Menschen ist es nicht möglich, andere Menschen – selbst enge Familienmitglieder und Freunde –  an ihrer Stimme zu erkennen. Was hinter diesem Phänomen steckt, war bisher kaum bekannt. Wissenschaftlerinnen des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften (MPI CBS) in Leipzig ist es nun gelungen, wesentliche Einblicke in dessen neuronale Mechanismen zu gewinnen. Das könnte nicht nur all denen helfen, die Schwierigkeiten haben, Stimmen zuzuordnen, sondern auch wichtige Erkenntnisse darüber liefern, wie unser Gehirn generell Stimmen verarbeitet.

Zunächst ertönen drei weibliche, dann drei männliche Stimmen. 20 Minuten lang sagen sie kurze Sätze wie „der Bäcker verkauft warme Brötchen“ oder „das Kaninchen hoppelt über die Wiese“. Parallel dazu erscheint zu jeder Stimme der Name des Sprechers auf dem Bildschirm.

Den meisten Menschen gelingt es innerhalb dieses Onlinetests zur Stimmenerkennung gut, Stimme und Name der Person einander richtig zuzuordnen. Susanne Schmieder* und Franz Richter* jedoch nicht. Sie haben eine angeborene Phonagnosie, das heißt, sie können Menschen nicht anhand ihrer Stimme erkennen. Sie verstehen zwar, was eine andere Person sagt, und können auch anhand ihrer Stimme einschätzen, ob sie gerade wütend, traurig oder fröhlich ist. Sie können ihr jedoch keine Identität zuordnen, wenn sie diese Person nicht gleichzeitig sehen - etwa bei einem Telefongespräch.

Bisher war dieses Phänomen kaum untersucht, die neuronalen Ursachen unbekannt. Wissenschaftlerinnen des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig ist es nun gelungen, die Mechanismen im Gehirn von Betroffenen zu identifizieren. „Wir haben herausgefunden, dass die Hauptursache für Phonagnosie ein Fehler in stimmenselektiven Hirnarealen und deren Verbindungen im rechten Temporallappen ist, also in Arealen, die auf die Stimmenidentität spezialisiert sind“, so Claudia Roswandowitz, Erstautorin der zugrundeliegenden Studie, die nun im renommierten Fachmagazin NeuroImage erschienen ist.

Das Interessante dabei: Die Neurowissenschaftlerinnen konnten anhand von Untersuchungen an Hirnfunktionen beweisen, was sie bereits in Verhaltensstudien beobachtet hatten: Es gibt zwei verschiedene Typen der Phonagnosie, die auf verschiedenen neuronalen Fehlfunktionen basieren. Susanne Schmieder* leidet unter Schwierigkeiten bei der Wahrnehmung von Stimmen. Dadurch kann sie einer Stimme in dem seltenen Fall, in dem sie sie überhaupt erkennt, zwar ein Gesicht, einen Namen oder andere Informationen der Person zuordnen. Sie kann jedoch zwei unbekannte Stimmen nicht voneinander unterscheiden und so nicht heraushorchen, wenn plötzlich der Sprecher in einem Gespräch wechselt. Bei ihr sind die stimmenselektiven Hirnareale während der Verarbeitung von Stimmen weniger aktiv als bei Menschen ohne diese Schwierigkeiten.

Franz Richter* wiederum kann zwar prinzipiell Stimmen voneinander unterscheiden, also etwa erkennen, dass gerade der Sprecher gewechselt hat. Ihm fällt es jedoch sehr schwer, mit einer Stimme persönliche Informationen zu verknüpfen. Sein Defizit ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass die Verbindung zwischen den stimmenselektiven Arealen und den Hirnregionen, die die Stimme weiterverarbeiten und ihr etwa einen Namen zuordnen, nicht richtig funktioniert. Die zusätzlichen Informationen können somit nicht mit der Stimme verknüpft werden.

„Diese beiden Unterformen der Phonagnosie belegen, dass beide Komponenten, sowohl die Wahrnehmung der Stimme als auch die Assoziation weiterer Informationen zu einer Stimme, wichtig sind, um Stimmen zu erkennen. Fällt eine der beiden Komponenten aus, tritt die Phonagnosie auf“, erklärt die Neurowissenschaftlerin.

Diese Erkenntnisse können nun nicht nur helfen, das Phänomen der Phonagnosie besser zu verstehen und darauf aufbauend Therapien zu entwickeln, um Betroffenen zu helfen. Vielmehr geben sie auch eine genauere Vorstellung davon, was genau im Gehirn geschieht, während wir Stimmen erkennen. An gesunden Probanden lassen sich solche selektiven Hirnprozesse nur schwer untersuchen, da sich weniger gut voneinander trennen lässt, wo etwa der Inhalt, die Emotion und letztlich die Identität des Gesprochenen verarbeitet wird. Lässt sich jedoch ein abgegrenztes Defizit klar mit einem Fehler im Gehirn in Verbindung bringen, lässt sich die Stimmenerkennung eindeutig einem neuronalen Puzzlestück zuordnen.

„Wir gehen davon aus, dass es zwischen zwei und drei Prozent der Bevölkerung schwer fällt, Personen anhand ihrer Stimme zu identifizieren“, so Studienleiterin Katharina von Kriegstein. „Von Probanden aus dem Autismus-Spektrum wissen wir zum Beispiel, dass sie zwar Stimmen nicht gut erkennen können, gleichzeitig aber auch Probleme damit haben, Gesichter zu identifizieren. Eine ‚pure’ Phonagnosie, bei der die Betroffenen keinerlei andere neurologische Auffälligkeiten zeigen, sei dagegen wahrscheinlich ein selteneres Phänomen.

Susanne Schmieder* und Franz Richter* sind in Deutschland bisher die einzigen bekannten Fälle, weltweit sind sie zwei von drei bekannten Betroffenen. Um sie zu finden, hatten die Leipziger Wissenschaftler ein umfangreiches Testverfahren entwickelt, in dem an erster Stelle der 20-minütige Onlinetest steht. Mit zunehmend feineren Messverfahren konnten sie schließlich aus mehr als tausend Testteilnehmern die beiden Probanden mit der reinen Form der Phonagnosie herauskristallisieren.

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