Drei Fragen an...

Stephanie Theves und Matthias Nau, die Gewinner der diesjährigen Otto-Hahn-Medaille.

23. Juni 2021

Die Max-Planck-Gesellschaft ehrt jedes Jahr junge WissenschaftlerInnen mit der Otto-Hahn-Medaille für herausragende wissenschaftliche Leistungen. In diesem Jahr erhielten Stephanie Theves und Matthias Nau vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften (MPI CBS) zwei der begehrten Auszeichnungen.

Jedes Jahr ehrt die Max-Planck-Gesellschaft im Rahmen ihrer Jahrestagung einige herausragende Leistungen ihrer Doktoranden und Postdocs. In diesem Jahr jährt sich zum 40. Mal die Verleihung der Otto-Hahn-Medaille, mit der die Max-Planck-Gesellschaft ihre besten NachwuchswissenschaftlerInnen ehrt. Wie nur wenige andere verkörperte Otto Hahn in seinem Leben wissenschaftliche Exzellenz und das Streben nach Fortschritt auf persönlicher und gesellschaftlicher Ebene. Als Präsident leitete er ab 1946 die erfolgreiche Umwandlung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft in die Max-Planck-Gesellschaft.

In diesem Jahr erhielten erneut zwei WissenschaftlerInnen des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften (MPI CBS) zwei der begehrten Auszeichnungen: Stephanie Theves, die sich mit konzeptuellem Wissen und Intelligenz beschäftigt, und Matthias Nau, der verstehen will, wie sich unsere visuelle Wahrnehmung und unser Gedächtnis zu einem inneren Abbild der Welt verbinden. In drei Fragen erklären sie, worum es geht.

Stephanie Theves, Abteilung Psychologie

Ihre Dissertation wurde gerade mit der Otto-Hahn-Medaille ausgezeichnet. Was macht Ihre Arbeit so besonders?

Meiner Dissertation lag die Frage zugrunde, wie konzeptionelles Wissen erworben und im Gehirn repräsentiert wird, sodass es flexibel genutzt werden kann, z.B. um neue Zusammenhänge zu erschließen. Die Neuheit meines Ansatzes lag darin, Konzeptlernen durch die Integration psychologischer Theorien zu kognitiven Räumen mit Erkenntnissen über die Physiologie des Orientierungssinns zu untersuchen: Ich habe getestet, ob die hippokampalen Kodierprinzipien, welche auf räumlich-sensitiven Zellen basieren und bislang als Basis unseres Orientierungssinns galten, auch Wissenserwerb durch die Integration von Informationen in eine kartenartige Repräsentation unterstützen. Solche ‚mentalen Karten‘ könnten Schlussfolgerungen und Wissentransfer ermöglichen, z.B. ließe sich ableiten, ob ein unbekanntes Tier fliegen kann, indem man es in einem Raum, der entlang relevanter Eigenschaften wie Körpergewicht und Flügelgröße definiert ist, in Relation zu bekannten Tieren setzt (vgl. Abbildung).

In einer Reihe von Experimenten habe ich mithilfe der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT) untersucht, wie neu erworbene Konzepte im Gehirn repräsentiert werden. In einem ersten Experiment lernten Probanden, unbekannte Stimuli anhand des Verhältnisses ihrer zwei Merkmale in zwei Kategorien einzuteilen. Das Konzept der zwei Kategorien war somit in einem zwei-dimensionalen Merkmalsraum mit dessen Diagonale als Kategoriengrenze definiert, ähnlich meinem Besipiel zur ‚Flugfähigkeit‘. Mittels repräsentationaler fMRT Analysen konnte ich zeigen, dass der Hippocampus die Distanzen zwischen Exemplaren im konzeptionellen Raum kodiert, d.h. eine kartenartige Repräsentation des Konzepts erstellt. Damit diese genutzt werden kann, um Bedeutung (z.B. Flugfähigkeit) zu extrahieren, muss sie entlang der für das Konzept relevanten Merkmale definiert sein. Denn in einem hoch-dimensionalen Raum entlang aller Eigenschaften, würden für die aktuelle Frage bedeutungsvolle Gruppierungen verloren gehen. In einem zweiten Experiment habe ich gezeigt, dass der Hippocampus Konzepte aus allen verfügbaren Merkmale extrahiert, indem er nur die relevanten Dimensionen in eine kartenartige Repräsentation integriert. In einer abschließenden Studie habe ich mich mit der hierarchischen Struktur von Konzepten befasst. Die erlaubt es Wissen flexibel auf unterschiedlichem Abstraktionsniveau, von groben Kategorien wie ‚Flugobjekt‘ hin zu detaillierten Subkategorien wie ‚Fledermaus‘ anzuwenden. Durch Abgleich verschiedener Lernmodelle mit dem Kategorisierungsverhalten und simultaner fMRT in einer hierarchischen Konzeptlernaufgabe, konnte ich erste Einblicke in den Erwerb verschiedener Abstraktionsebenen im hippocampal-präfrontalen System gewinnen.

Durch die Übertragung von neurobiologischen Modellen der Raumkognition in den Bereich des Konzeptlernens, konnte meine Arbeit zu einer neuen neurokognitiven Perspektive auf Wissenserwerb beitragen.

Was ist Ihre Motivation, sich genau mit dem Thema zu beschäftigen?

Die Fähigkeit, einen enorm umfangreichen, aber dennoch limitierten Wissensschatz flexibel zu verwenden, um neue Situationen zu interpretieren und Probleme zu lösen, ist ein Kernaspekt menschlicher Intelligenz und stellt für die KI immer noch eine Herausforderung dar. Ich möchte besser verstehen, wie Information im Gehirn organisiert ist, um diese Funktionalität zu ermöglichen. In diesem Kontext macht das Zusammenspiel von Gedächtnisrepräsentationen und Schlussfolgerungsprozessen das Konzeptlernen zu einem so interessanten Thema für mich.

Desweiteren möchte ich menschliches Denken besser auf der Ebene grundlegender Kodierprinzipien verstehen, die sich über kognitive Domänen (z.B. Wissenserwerb & Navigation) hinweg finden. Dies könnte womöglich Aufschlüsse über eine gemeinsame Basis verschiedener Denkprozesse ermöglichen und schließlich für die Erklärung interindividueller Unterschieden in Intelligenz relevant sein.

Die preisgekrönte Dissertation ist in der Tasche. Was kommt als nächstes?

Momentan setze ich meine Forschung zum Konzeptlernen am MPI CBS fort. Zusammen mit DoktorandInnen versuche ich, die Mechanismen konzeptioneller Räume besser zu verstehen. Hierbei testen wir a) ob sich Anpassungen von Kategoriengrenzen an neue Exemplare durch Modellierung der Populationsaktivität von Raumzellen erklären lassen und b) ob ein räumliches Format von Konzeptrepräsentationen Kernaspekte des Konzeptlernens, wie die Abstraktion von Prototypen, unterstützt. Desweiteren habe ich begonnen, an meinem neuen längerfristigen Forschungsplan zu arbeiten: Hier möchte ich untersuchen, inwiefern diese räumlichen Kodierprinzipien, und die Geometrie neuronaler Repräsentationen allgemein, interindividuelle Unterschiede in schlussfolgerndem Denken und Intelligenz erklären können.

 

Matthias Nau, Abteilung Psychologie

Ihre Dissertation wurde gerade mit der Otto-Hahn-Medaille ausgezeichnet. Was macht Ihre Arbeit so besonders?

Mich fasziniert, wie sich in unserem Gehirn visuelle Wahrnehmung und Gedächtnis zu einem inneren Abbild der Welt verbinden und wie dieses unser Verhalten steuert. Dieser Faszination gehe ich mit Hilfe funktioneller Bildgebung, eye tracking und maschinellem Lernen nach. In meiner Dissertation beschäftige ich mich speziell mit der Frage, wie unser Gehirn die vielen visuellen Reize in unserer Umgebung wahrnimmt, sie zu einem einheitlichen Raumeindruck verbindet und in Form einer kognitiven Karte der Umgebung in unsere Erinnerungen überführt.

In einer ersten Studie untersuchte ich, wie unser Gehirn eine Art Bildstabilisierung durchführt. Ohne diese wäre unsere Wahrnehmung bei jeder Bewegung verwackelt. Das Gehirn schafft es aber, unsere eigenen Bewegungen aus den Signalen der Netzhaut herauszurechnen - und wir zeigten, dass bereits die ersten visuellen Regionen innerhalb der kortikalen Hierarchie zu diesem Prozess beitragen. In einer zweiten Studie erforschte ich anschließend, wie für die Gedächtnisbildung relevante Regionen unsere Umwelt abbilden. Hierbei faszinierte mich speziell die Rolle der Gitterzellen (engl. “Grid cells”), die im Tiermodell eine Art Koordinatensystem des visuellen Raums kodieren. Wir konnten zeigen, dass dieses Koordinatensystem auch im menschlichen Gehirn existiert. Es bildet dabei eine wichtige Brücke zwischen unserer derzeitigen Wahrnehmung, unserem Blickverhalten und unserer Erinnerungen. In einer dritten Studie untersuchte ich schließlich, wie visuelle und gedächtnisrelevante Regionen zusammenarbeiten, wenn wir uns in einer neuen Umgebung zurechtfinden müssen. Mit Hilfe von virtueller Realität und speziell entwickelten Computermodell-gestützten Analysen konnten wir nachweisen, dass der fortlaufende Prozess der Gedächtnisbildung direkt beeinflusst, wie visuelle Informationen im Gehirn verarbeitet werden. Meine Arbeit kombiniert also verschiedene Ideen und Methoden unterschiedlicher neurowissenschaftlicher Forschungsfelder, um so tiefere Einblicke in die neuronalen Grundlagen der Raumwahrnehmung und des Gedächtnisses zu erlangen.

Was ist Ihre Motivation, sich genau mit dem Thema zu beschäftigen?

Als kognitiver Neurowissenschaftler arbeite ich an einer aufregenden Schnittstelle zwischen Biologie, Psychologie, Computerwissenschaften, Medizin, Physik und Philosophie. Ich habe das große Privileg, täglich Neues über all diese Bereiche zu lernen und faszinierende Einblicke in die Funktionsweisen unseres Gehirns zu erlangen. Sowohl dieser interdisziplinäre Austausch als auch das Gefühl, zu etwas Größerem beizutragen, ist unglaublich belohnend. Zudem generiert neurowissenschaftliche Forschung nicht nur neues Wissen und die Grundlage für medizinische Anwendungen. Sie gestaltet auch das Verständnis von uns selbst als Menschen aktiv mit. Motivation kommt da ganz von selbst.

Die preisgekrönte Dissertation ist in der Tasche. Was kommt als nächstes?

Derzeit führe ich meine Forschung als Postdoktorand an den ‘National Institutes of Health’ in Bethesda (USA) im Rahmen eines Stipendiums der Alexander-von-Humboldt Stiftung weiter. Hier erforsche ich, welche Rolle unsere Augenbewegungen beim Abruf von Erinnerungen spielen. Wenn wir uns zum Beispiel vorstellen, in unserer Küche zu stehen, dann bewegen sich unsere Augen in etwa so, als ob wir tatsächlich dort stünden. Von meiner bisherigen Forschung ausgehend bin ich davon überzeugt, dass solche Augenbewegungen direkt mit der Reaktivierung spezifischer neuronaler Aktivitätsmuster in sensorischen und gedächtnisrelevanten Arealen einhergehen. Möglicherweise erlaubt uns das Zusammenspiel von motorischen und sensorischen Gehirnfunktionen auf diese Weise nicht nur, die Umwelt wahrzunehmen, sondern auch, sie vor unserem geistigen Auge wiederzuerleben.

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