Sofie Valk, was formt unseren Geist und unser Gehirn?

27. Mai 2020
Sie möchte verstehen, wie angeborene und Umweltfaktoren unser Gehirn und letztlich unsere Gedanken und Gefühle formen: Sofie Valk, Leiterin der neuen Forschungsgruppe "Kognitive Neurogenetik" am MPI CBS. Ein Gespräch darüber, wie sie die Funktion der Gehirnstruktur untersuchen will, wie Gene und Umwelt uns zu dem machen, was wir sind - und wie Herausforderungen sie persönlich antreiben.

Frau Valk, worum geht es in Ihrer neuen Forschungsgruppe am MPI CBS?

In der Gruppe „Kognitive Neurogenetik“ untersuchen wir, wie angeborene und Umweltfaktoren die Struktur und Funktion des Gehirns formen. Das Gehirn ist ein komplexes System, das aus miteinander verbundenen Regionen besteht. Einzelne Hirnregionen im Cortex, der Großhirnrinde, sind räumlich so angeordnet, dass sie sowohl ihre Funktion als auch ihren genetischen Aufbau widerspiegeln. Bestimmte Bereiche verraten uns etwas über die Evolutionsgeschichte dieser Regionen. Diese einzigartige Anordnung des menschlichen Gehirns ermöglicht uns wiederum komplexe Funktionen wie Sozialverhalten und Vorstellungsvermögen. Entscheidend ist dabei, dass die Organisation des Gehirns zwar bei allen Menschen vergleichbar, aber nicht genau gleich ist. Diese Unterschiede sind wiederum mit unterschiedlichem Verhalten verbunden, zum Teil aber auch mit Krankheiten. Zurückzuführen sind die auf genetische und umweltbedingte Faktoren sowie auf bestimmte Entwicklungspfade. Unserer Forschung soll helfen, das individuelle Gehirn und letztlich den Geist besser zu verstehen.

Den Einfluss der Evolution, der Gene und der Umwelt auf das Gehirn und das Verhalten - wie wollen Sie das untersuchen?

Für den größten Teil unserer Forschung werden wir offene Datensätze mit großen Stichproben aus Bildgebungs- und Verhaltensdaten von Menschen und nicht-menschlichen Primaten verwenden. Diese offenen Datensätze bieten uns eine hervorragende Quelle, um unsere Forschungsfragen zu untersuchen und unsere Ergebnisse anhand von Proben und Messungen validieren zu können. Zum Beispiel ist es möglich, mit Datensätzen von Zwillings- oder Familienstammbäumen die Erblichkeit und genetische Korrelation von Gehirn- und/oder Verhaltensmerkmalen zu berechnen. Indem wir den menschlichen Cortex mit dem von nicht-menschlichen Primaten vergleichen, können wir wiederum die evolutionäre Grundlage der Gehirnorganisation und der damit verbundenen Funktionen weiter entschlüsseln.

Was haben Sie bisher herausgefunden?

Während meiner Doktorarbeit am MPI CBS konnten wir zeigen, dass soziale Fähigkeiten wie Einfühlungsvermögen, Aufmerksamkeit und die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen, die Theory of Mind, mit bestimmten Hirnnetzwerken zusammenhängen. Wir haben herausgefunden, dass es tatsächlich darauf ankommt, was man denkt und fühlt. Das heißt, nach einem mentalen Training in jedem dieser Bereiche hatten sich die einzelnen Hirnnetzwerke in ihrer Struktur verändert.

Am Forschungszentrum Jülich habe ich anschließend die genetischen Grundlagen von Gehirn und Verhalten untersucht, also zum Beispiel die genetischen Grundlagen der generellen Gehirnorganisation von Menschen und Makakenaffen. Wir fanden Hinweise darauf, dass sich bei beiden die funktionellen und evolutionären Muster bei der Hirnorganisation auf Makroebene sehr ähneln. Die Studie bietet damit ein Fenster in das, was uns architektonisch angeboren ist und die menschliche Kognition ausmacht. In einem anderen Projekt fanden wir heraus, dass die Beziehung zwischen der lokalen Hirnstruktur und den fünf großen Persönlichkeitsmerkmalen — Offenheit für Erfahrungen, Gewissenhaftigkeit, Geselligkeit, Verträglichkeit, das heißt Rücksichtnahme, Kooperationsbereitschaft und Empathie, sowie die emotionale Labilität und Verletzlichkeit — zum Teil durch gemeinsame genetische Faktoren bestimmt werden. Die Verbindungen waren jedoch schwach und bei verschiedenen Proben weitgehend nicht verallgemeinerbar. Die Ergebnisse heben damit nochmals die komplexe Beziehung zwischen Gehirn und Verhalten hervor. Das zeigt: Wer wir sind, bestimmen Hirnstruktur und genetische Faktoren also nur zu einem kleinen Teil — was mir sehr einleuchtend erscheint.

Wie geht es weiter?

In meiner Forschungsgruppe möchte ich die beiden Ansätze zusammenführen und so untersuchen, wie Angeborenes und Umwelt die Struktur und Funktion des Gehirns formen. Ich bin superglücklich darüber, dass ich bislang zwei sehr talentierte Wissenschaftlerinnen für mein Team gewinnen konnte, Lina Schaare und Şeyma Bayrak. Und das noch kurz vor dem Beginn der SARS-CoV2-Pandemie.

Auch für die laufende Zusammenarbeit mit meinen früheren Mentoren bin ich sehr dankbar. Zusammen mit meinem Team und meinen Mitarbeitern arbeiten wir derzeit an einer Vielzahl von spannenden Projekten. Linas Projekt erforscht etwa die Beziehung zwischen physiologischen Messungen und der Struktur und Funktion des Gehirns weiter und entzerrt damit hoffentlich noch mehr die Rolle von Angeborenem und Umwelt. Şeyma und ich arbeiten an einem Projekt, das die genetischen Faktoren untersucht, die der Organisation des Hippocampus, der wichtigsten Gedächtnisstruktur, zugrundeliegen. Zusätzlich dazu entwickeln wir eine oberflächenbasierte Statistik-Toolbox. Während der Home-Office-Phase haben wir einen Journalclub mit einer Gruppe begeisterter Wissenschaftler eingerichtet. Wir diskutieren aktuelle Arbeiten und Methoden auf diesem Gebiet, darunter Computational Neuroanatomy und Imaging Genetics, sowie gute wissenschaftliche Praxis wie den Umgang mit Probenverzerrungen. Jeder ist herzlich willkommen! Schreibt uns einfach.

(Das Interview führte Verena Müller.)

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