Das Planen von Werkzeughandlungen

Forschungsbericht (importiert) 2006 - Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften

Autoren
Massen, Cristina; Lepper, Miriam; Prinz, Wolfgang
Abteilungen
Psychologie (Prof. Dr. Wolfgang Prinz)
MPI für Kognitions- und Neurowissenschaften, Leipzig
Zusammenfassung
Zu den faszinierendsten motorischen Leistungen von Menschen und Tieren gehört die Fähigkeit, Werkzeuge einzusetzen, um gewünschte Handlungseffekte in der Umwelt zu erreichen. Eine Studie des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften zeigt, dass Menschen über ein abstraktes inneres Modell Handlungswirkung, Werkzeug und die dazugehörige Körperbewegung koordinieren. Dieses Modell wird im Verlauf der Handlungsplanung aufgerufen.

Menschliche Bewegungsplanung: Hypothesen und Befunde

Menschen führen täglich eine Vielzahl von zielorientierten Bewegungen aus. Manche dieser Bewegungen richten sich direkt auf ein in der Umwelt befindliches Ziel, zum Beispiel, wenn Arm und Finger zu einer Tasse hin bewegt werden. In vielen anderen Fällen wird die Körperbewegung jedoch nicht direkt zum Ort des beabsichtigten Handlungseffekts hin ausgeführt, sondern zu einem anderen Ort im Raum. Typisch für diese zweite Art zielorientierter Bewegungen ist der Gebrauch von Werkzeug; hier muss das eigentliche externe Ziel der Handlung erst in ein adäquates räumliches Ziel des Effektors (das heißt, des beteiligten Körperteils oder der Körperteile) übersetzt werden. Ein anschauliches Beispiel ist die Verwendung eines Hammers, um einen Nagel einzuschlagen: Arm und Hand gehen nicht direkt zum Nagel, sondern vollführen stattdessen eine Bewegung im Raum, die dazu führt, dass das Ende des Hammers die gewünschte Stelle trifft. Bei der Verwendung von Werkzeug muss der Akteur also die jeweilige Transformationsbeziehung zwischen dem gewünschten externen Ziel und der entsprechenden Körperbewegung berücksichtigen.

Schon lange hat sich die kognitive Psychologie mit der Frage beschäftigt, wie Bewegungen geplant oder „berechnet“ werden. Eine zentrale Hypothese der Forschung besagt, dass Pläne für Körperbewegungen aus einzelnen Merkmalen oder Parametern bestehen (zum Beispiel der Amplitude oder Richtung), und dass diese bei der Programmierung der Bewegung einzeln und unabhängig voneinander spezifiziert werden. Diese Hypothese wurde mit der so genannten „Precuing“-Methode [1] untersucht. Probanden sollten einfache, zielgerichtete Armbewegungen zu einem von mehreren möglichen Zielpunkten ausführen. Bevor aber das eigentliche Ziel der Bewegung bekannt war, erhielten sie Hinweisreize über einzelne Parameter der auszuführenden Bewegung (etwa, ob es eine Bewegung mit großer oder kleiner Amplitude sein würde). Die Frage war, ob die Versuchspersonen in der Lage sein würden, diese Einflussgrößen vorab und unabhängig voneinander zu spezifizieren. Die Ergebnisse zeigten, dass Probanden kürzere Reaktionszeiten für die Armbewegung aufwiesen, wenn ihnen vorab einzelne Merkmale dieser Bewegung bekannt waren. Dies lässt sich als Beleg für die Hypothese der Parameterspezifikation interpretieren.

Kognitive Prozesse in der Planung von Werkzeughandlungen

Die Frage ist nun, wie Menschen Handlungen planen, bei denen sie Werkzeuge verwenden. Denn hier müssen sie bei der Bewegungsplanung die spezifische Umsetzung des externen Ziels in das Ziel der Körperbewegung berücksichtigen. Eine Möglichkeit, dies zu tun, bestünde darin, diese Transformationsfunktion schon früh in der Handlungsplanung zu berücksichtigen und die externen Ziele in die entsprechenden Ziele der Körperbewegung zu übersetzen. Eine andere Möglichkeit wäre, die Handlungsplanung zunächst unabhängig von der Transformationsfunktion des Werkzeugs vorzunehmen. Das Werkzeug würde dann erst später, wenn der Bewegungsablauf erzeugt wird, als notwendige motorische Randbedingung implizit berücksichtigt, so wie man dies auch bei einem plötzlich auftauchenden Hindernis tun würde. Im letzteren Fall bestünde keine Notwendigkeit, die Transformationsfunktion auf der kognitiven Ebene zu repräsentieren.

Mithilfe der erwähnten „Precuing“-Methode lässt sich die Frage untersuchen. Wenn Menschen sich von der Transformationsfunktion des Werkzeugs eine konkrete Vorstellung machen und diese schon früh in die Handlungsplanung einfließen lassen, sollten sie einen Reaktionszeitvorteil haben, wenn sie durch einen Hinweisreiz vorab über diese Transformationsfunktion informiert werden. Wenn diese dagegen erst später im Prozess der Handlungsplanung als motorische Randbedingung behandelt wird, sollte sie kognitiven Vorbereitungsprozessen nicht zugänglich sein und Vorabinformation wäre nicht hilfreich.

Diese Problematik war Gegenstand einer Studie des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften [2]. Probanden sollten einen von zwei möglichen Zielpunkten mit einem Hebel berühren. Der Hebel war in jedem Durchgang um jeweils einen von zwei möglichen Drehpunkten drehbar und realisierte damit eine von zwei möglichen Transformationsbeziehungen zwischen der Richtung der Armbewegung und der Richtung des erzielten Effekts (Abb. 1).

War der Hebel um den linken Drehpunkt drehbar, musste der Proband den Hebelgriff vom Körper weg bewegen, um den entfernten Zielpunkt zu berühren (kompatible Beziehung zwischen der Richtung der Körperbewegung und der Richtung des Zielpunkts). War dagegen der Hebel um den rechten Drehpunkt drehbar, musste der Hebelgriff zum Körper hin bewegt werden, um den entfernten Zielpunkt zu erreichen (inkompatible Beziehung zwischen der Richtung der Körperbewegung und der Richtung des Zielpunkts). In jedem Durchgang wurden der zu berührende Zielpunkt und der aktuell gültige Drehpunkt des Hebels durch das Aufleuchten von Dioden am jeweiligen Zielpunkt beziehungsweise Drehpunkt angezeigt. In manchen Versuchsdurchgängen erhielten die Testpersonen Vorabinformationen über den Drehpunkt oder über den Zielpunkt.

Eine Serie von Experimenten erbrachte folgende Erkenntnisse: In den Fällen, in denen Probanden zuvor Informationen über die Transformationsbeziehung bekamen, waren ihre Reaktionszeiten kürzer und sie machten weniger Fehler (Abb. 2).

Ihre Leistung war jedoch nicht besser, wenn ihnen der Zielpunkt vorher angezeigt wurde oder sie ein Warnsignal erhielten. Ähnliche Ergebnisse zeigten sich bei den Übergängen zwischen einzelnen Durchgängen: Probanden waren schneller und machten weniger Fehler, wenn die Transformationsbeziehung zwischen Durchgang n–1 und Durchgang n gleich blieb (während Zielpunkt und Körperbewegung sich änderten), als wenn der Zielpunkt in Durchgang n–1 und Durchgang n gleich blieb (während Transformationsbeziehung und Körperbewegung sich änderten).

Diese Ergebnisse bestärken die Hypothese, derzufolge bei Tätigkeiten mit Werkzeuggebrauch die Transformationsbeziehung zwischen dem externen Ziel der Handlung und dem Ziel der eigentlichen Körperbewegung schon früh eingeplant wird. Die Versuchspersonen scheinen zunächst ein „internes Modell“ des Werkzeugs aufzurufen, bevor weitere Parameter der Handlung, wie beispielsweise das externe Ziel, spezifiziert werden.

In einer weiteren Untersuchungsreihe wurde der Frage nachgegangen, ob Probanden auch dann von der Wiederholung einer Transformationsbeziehung von einem zum nächsten Durchgang profitieren würden, wenn diese durch ein anderes physikalisches Werkzeug realisiert würde – etwas allgemeiner formuliert: ob die kognitive Repräsentation einer solchen Transformationsbeziehung abstrakt und unabhängig von der konkreten Beschaffenheit des Werkzeugs ist. Dazu wurden jeweils zwei Werkzeuge ausgewählt, die entweder eine kompatible Transformationsbeziehung realisieren oder aber eine inkompatible. Bei den Werkzeugen mit kompatibler Transformationsbeziehung (etwa Zange oder Pinzette) entspricht die Richtung der Körperbewegung (zum Beispiel Finger auseinander) der Richtung des Effekts (Zange oder Pinzette öffnet sich). Bei den Werkzeugen mit inkompatibler Transformationsbeziehung (zum Beispiel Wäscheklammer oder Haarklemme) muss zur Erzielung eines bestimmten Effekts (Wäscheklammer öffnet sich) eine gegenteilige Körperbewegung ausgeführt werden (Finger zusammendrücken). Probanden sahen jeweils eines dieser Werkzeuge auf dem Computermonitor und sollten einen ebenfalls auf dem Monitor dargestellten Ball mit diesen Werkzeugen entweder zusammendrücken (wenn der Ball rot war) oder loslassen (wenn der Ball grün war) (Abb. 3).

Die vom jeweiligen Werkzeug und Handlungsziel abhängige Fingerbewegung musste mittels einer speziell konstruierten Antwortvorrichtung ausgeführt werden. Es erwies sich, dass die Reaktionszeiten der Probanden kürzer waren und sie weniger Fehler machten, wenn die Handlung im vorhergehenden Durchgang ein Werkzeug mit der gleichen abstrakten Transformationsbeziehung beinhaltete (kompatibel oder inkompatibel). Wechselte die Transformationsbeziehung, brauchten die Versuchspersonen länger, und die Fehlerquote stieg an (Abb. 4).

Die bisherigen Ergebnisse belegen, dass Menschen die einem Werkzeug zugrundeliegende Transformationsbeziehung zwischen externen Effekten und zugehörigen Körperbewegungen explizit repräsentieren und schon früh im Prozess der Handlungsplanung abrufen. Weitergehende Untersuchungen sollen nun die Frage klären, welche anderen Eigenschaften mentale Repräsentationen von Transformationsbeziehungen noch haben und wie Menschen solche Werkzeughandlungen planen und koordinieren, die mit zwei Händen gleichzeitig ausgeführt werden.

Originalveröffentlichungen

1.
D.A. Rosenbaum:
Human movement initiation: Specification of arm, direction and extent.
Journal of Experimental Psychology: General, 109, 444-474 (1980).
2.
C. Massen, W. Prinz:
Programming tool-use actions.
Journal of Experimental Psychology: Human Perception and Performance (2007).
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