Der Einfluss von gemeinsamem Handeln auf Prozesse der Handlungsplanung und Handlungsausführung

Forschungsbericht (importiert) 2003 - Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften

Autoren
Sebanz, Natalie; Knoblich, Günther; Prinz, Wolfgang
Abteilungen
Kognition und Handlung (Prof. Dr. Wolfgang Prinz)
MPI für Kognitions- und Neurowissenschaften, AB Psychologie, München
Zusammenfassung
In vielen Situationen koordinieren Menschen ihre Handlungen, um gemeinsame Ziele zu erreichen. Dabei ist wesentlich, dass jeder Handelnde eine mentale Vorstellung (Repräsentation) der Handlungen der anderen Gruppenmitglieder bildet. Dies könnte sich darin äußern, dass das Beobachten einer Handlung mentale Strukturen aktiviert, die auch der eigenen Ausführung dieser Handlung zugrunde liegen. In diesem Fall sollte ein- und dieselbe Aufgabe anders ausgeführt werden, je nachdem ob der Handelnde alleine ist oder eine zweite Person an seiner Seite ebenfalls Handlungen ausführt. Diese Annahme konnte in einer Serie von Reaktionszeitexperimenten und in einer EEG-Studie bestätigt werden. Effekte des gemeinsamen Handelns zeigten sich sowohl für Prozesse der Handlungsplanung als auch der Handlungsausführung. Die Ergebnisse sprechen insgesamt dafür, dass die Handlung einer anderen Person in gleicher Weise wie eine eigene Handlung repräsentiert wird.

In vielen Situationen stimmen Menschen ihre Handlungen aufeinander ab, um gemeinsame Ziele zu erreichen. Obwohl gemeinsame Handlungen wie beispielsweise ein Duett singen, ein sperriges Möbelstück tragen oder über ein politisches Ereignis diskutieren auf den ersten Blick sehr unterschiedlich erscheinen, kann man zwei Prozesse identifizieren, die gemeinsamen Handlungen zugrunde liegen. Diese beiden Prozesse können als "Koordination" und "Ko-Repräsentation" bezeichnet werden. Einerseits ist es beim gemeinsamen Handeln wichtig, seine eigenen Handlungen zeitlich mit den Handlungen einer anderen Person zu koordinieren. Dies wird besonders deutlich, wenn man sich vorstellt, was passieren würde, wenn zwei Personen beim Singen eines Duetts nicht auf ihren gemeinsamen Einsatz achteten. Andererseits ist wichtig, dass jeder der beiden Handelnden eine gedankliche Vorstellung der Handlungen des anderen bildet, um sein eigenes Handeln anpassen zu können. So sollte jeder Sänger nicht nur seinen eigenen Part des Duetts, sondern auch den des anderen kennen und diesen in seine eigene Handlungsplanung mit einbeziehen.

Wie wirkt sich die Vorstellung der Handlung eines anderen auf das eigene Handeln aus?

Die hier geschilderten Experimente behandeln den Aspekt der Ko-Repräsentation, der Bildung einer Vorstellung von den Handlungen des jeweils anderen. Die Ko-Repräsentation von Handlungen wurde bisher vor allem in Situationen untersucht, in denen eine Person die Handlungen einer anderen Person beobachtete. Es wurde gezeigt, dass das Beobachten von Handlungen, die von anderen Personen ausgeführt werden, dazu führt, dass repräsentationale Strukturen aktiviert werden, die auch bei der eigenen Planung und Ausführung dieser Handlungen beteiligt sind. Wir untersuchten, wie sich das Entstehen gemeinsamer Handlungsrepräsentationen in Situationen, in denen Menschen gemeinsam eine Aufgabe bearbeiten, auf Prozesse der Handlungsplanung und -ausführung auswirkt.

Versuchsanordnung

Im Versuch wurden zwei Handlungsalternativen einer Aufgabe auf zwei Personen verteilt. Die Versuchspersonen sahen Bilder einer Hand, die entweder nach rechts oder nach links zeigt. Am Zeigefinger der Hand war entweder ein roter oder ein grüner Ring zu sehen (Abb. 1). Eine Person erhielt die Aufgabe, mit einem Tastendruck nur auf rote Reize zu reagieren. Die andere Person erhielt die Aufgabe, mit einem Tastendruck nur auf grüne Reize zu reagieren. Die Zeigerichtung des Fingers war für die Aufgabe irrelevant. Die Aufgabe wurde von jeder Person in zwei unterschiedlichen Bedingungen ausgeführt. In der Gruppenbedingung führte eine Person die Aufgabe neben der anderen Person aus. Das heißt, sie reagierte zum Beispiel auf rote Reize, während die Person neben ihr auf grüne Reize reagierte. In der Einzelbedingung, die als Kontrollbedingung für die Gruppenbedingung diente, führte die Person genau dieselbe Aufgabe alleine aus (Abb. 2).

Folgende Voraussagen können für diese beiden Versuchsbedingungen gemacht werden: Wenn eine Person alleine auf eine der Farben reagiert, sollte die Zeigerichtung des Fingers keine Auswirkung auf die Reaktionen auf die Ringfarbe haben. Das heißt, Reaktionen auf rote Reize sollten zum Beispiel gleich schnell sein, egal ob der Finger nach rechts oder links zeigt. Für die Gruppenbedingung können zwei unterschiedliche Vorhersagen gemacht werden: Wird das Handeln der anderen Person ignoriert, sollte die Aufgabe so ausgeführt werden, als sei man alleine. Dies ist möglich, da die Aufgabe nicht erfordert, den anderen in sein Handeln mit einzubeziehen. Bildet man jedoch eine mentale Repräsentation der Handlungsalternative der anderen Person, sollte ein "Kompatibilitätseffekt" in der Gruppe auftreten. Das bedeutet, dass Reaktionen schneller erfolgen sollten, wenn der Finger auf die Person zeigt, die aufgrund der gezeigten Farbe reagieren soll (Beispiel: der Finger zeigt nach links und die linke Person soll reagieren). Reaktionen sollten langsamer sein, wenn der Finger auf die Person verweist, die nicht reagieren soll (Beispiel: der Finger zeigt nach rechts, aber die linke Person soll reagieren).

Versuchsergebnisse

Wie in Abbildung 3 ersichtlich, zeigte sich tatsächlich ein Kompatibilitätseffekt in der Gruppe, während kein Kompatibilitätseffekt auftrat, wenn genau dieselbe Aufgabe alleine ausgeführt wurde. Was waren die Gründe für den Kompatibilitätseffekt in der Gruppe? Dadurch, dass die Handlungsalternative der anderen Person repräsentiert wurde, entstand eine Überlappung zwischen der irrelevanten räumlichen Stimulusdimension, die durch die Zeigerichtung gegeben war, und der räumlichen Dimension der Antwortalternativen. Es ist bekannt, dass bei einer solchen Überlappung der irrelevante räumliche Stimulus automatisch eine Vorstellung der Antwortalternative, auf die er verweist, aktiviert. Das bedeutet: Wenn der Finger nach rechts zeigt, wird eine Vorstellung der rechten Antwort aktiviert, und wenn er nach links zeigt, wird eine Vorstellung der linken Antwort aktiviert. Reaktionen können schneller ausgeführt werden, wenn der irrelevante räumliche Stimulus auf die Handlung verweist, die aufgrund des relevanten Farbmerkmals tatsächlich ausgeführt werden soll. Stimmen räumlicher Stimulus und auszuführende Handlung nicht überein, sind die Reaktionen aufgrund des entstehenden Antwortkonflikts verzögert. Da die eigene Handlung und die Handlung der anderen Person in gleicher Weise repräsentiert sind, wird die eigene Handlungsplanung durch die Aktivierung der Vorstellung von der Handlung des anderen beeinflusst.

In weiteren Experimenten konnte gezeigt werden, dass der Kompatibilitätseffekt in der Gruppenbedingung auch dann auftritt, wenn Personen keine Rückmeldung über die Reaktionen der anderen Person erhielten. Dies wurde dadurch erreicht, dass die Hände verdeckt wurden und die Versuchspersonen Kopfhörer trugen, die den Tastendruck unhörbar machten. Dieses Ergebnis weist darauf hin, dass die Handlungsalternative der anderen Person in die eigene Handlungsplanung mit einbezogen wird, sobald man die Aufgabe der anderen Person kennt.

Die Analyse von Reaktionszeiten erlaubt lediglich, Durchgänge zu untersuchen, bei denen eine Person reagiert, um daraus Rückschlüsse auf Handlungsplanungsprozesse zu ziehen. Durch die Messung ereigniskorrelierter Potenziale (EKPs) des Elektroencephalogramms (EEG), bei dem elektrische Hirnaktivität an der Schädeloberfläche gemessen wird, ist es zusätzlich möglich, Prozesse der Handlungskontrolle in den Durchgängen zu untersuchen, in denen eine Person nicht reagiert (so genannte Nogo-Durchgänge). Daher wurden die Einzel- und Gruppenbedingungen in einer EEG-Studie wiederholt. Dabei wurden in der Gruppenbedingung EKPs an zwei Personen gleichzeitig gemessen. Die Aufgabe in der Einzel- und der Gruppenbedingung war wie in den ursprünglichen Reaktionszeitexperimenten für jede Versuchsperson identisch.

Der Vergleich von EKPs in Nogo-Durchgängen in der Gruppen- und der Einzelbedingung zeigte, dass in der Gruppensituation eine EEG-Komponente, die für Handlungskontrolle und Handlungsunterdrückung steht (Nogo-P3), wesentlich stärker ausgeprägt war als in der Einzelsituation. Dies weist darauf hin, dass Personen eine starke Handlungstendenz unterdrücken mussten, wenn sie die Handlung einer anderen Person antizipierten. Dies war in deutlich geringerem Ausmaß der Fall, wenn sie keine Handlung antizipierten, wie in den Nogo-Durchgängen in der Einzelbedingung. Dieses Ergebnis steht in Einklang mit den schon erwähnten Befunden, dass die Beobachtung oder Antizipation einer Handlung zu einer Handlungstendenz führt. Handelt man gemeinsam, wird die Handlung der Person, die reagieren sollte, von der Person, die nicht an der Reihe ist, antizipiert. Durch die Antizipation entsteht bei dieser Person eine Handlungstendenz, die unterdrückt werden muss. Ist man alleine, entsteht keine solche Handlungstendenz in den Durchgängen, in denen man nicht an der Reihe ist.

Zusammenfassend zeigen unsere Ergebnisse, dass Handlungen des jeweils anderen mental repräsentiert werden, selbst wenn jeder Handelnde seinen Teil der Aufgabe ausführen könnte, ohne auf den anderen Rücksicht zu nehmen. Diese Ko-Repräsentation beeinflusst Prozesse der Handlungsplanung, aber auch der Handlungsausführung. Es wird angenommen, dass das Prinzip der Ko-Repräsentation eine wichtige Rolle beim Ausführen gemeinsamer Handlungen spielt, da es einer Person ermöglicht, Vorhersagen über die Handlungen anderer Personen zu machen. Neueste Befunde von Experimenten, in denen wir unterschiedliche Aufgaben auf zwei Personen verteilten, sprechen dafür, dass nicht nur Handlungen, sondern auch Aufgaben in Form von Stimulus-Reaktions-Verbindungen ko-repräsentiert werden. Die Ko-Repräsentation von Aufgaben ermöglicht es, die Handlungen einer anderen Person auch dann vorherzusagen, wenn man ihre Handlungen nicht beobachten kann. Ein Duett sollte man jedoch trotzdem nicht in getrennten Räumen singen, denn auch die zeitliche Koordination ist für gemeinsames Handeln wichtig.

Zur Redakteursansicht