Parkinson früher diagnostizieren: Neurone unterm MRT-Mikroskop

Forschungsbericht (importiert) 2024 - Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften

Autoren
Brammerloh, Malte; Weiskopf, Nikolaus; Kirilina, Evgeniya
Abteilungen
Abteilung Neurophysik, Forschungsgruppe MRI Biophysics, Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften, Leipzig
Zusammenfassung
Bei Parkinson sterben eisenreiche Neurone im Mittelhirn ab. Dies zu detektieren würde erlauben, Parkinson früher zu diagnostizieren und Behandlungsmöglichkeiten zu verbessern. Wir haben den Magnetismus der Neurone genutzt, um sie mittels MRT zu messen. Eine biophysikalische Modellierung des MRT-Kontrasts erlaubte uns, den unerwartet hohen Kontrast durch diese Neurone zu beschreiben. Wir haben diese Zellen kartographiert und konnten damit die klinische Interpretation von MRT-Aufnahmen verbessern. Unsere Ergebnisse sind ein wichtiger Schritt zu einer früheren MRT-basierten Parkinsondiagnose.

Klein aber oho: Die Substantia nigra bei Parkinson

Unsere Gesellschaft altert, und neurodegenerative Krankheiten wie Parkinson sind auf dem Vormarsch: Allein in Deutschland gibt es aktuell 200.000 Patienten, weltweit sind es 10 Millionen, Tendenz steigend. Aktuell ist Parkinson nicht heilbar, lediglich Symptome der Krankheit können medikamentös gelindert werden. Diese Symptomlinderung nimmt im Verlauf der Krankheit ab. Ein zentrales Hindernis zu einer heilenden Intervention ist die relativ späte Diagnose.

Das zentrale Merkmal von Parkinson ist das Absterben von wichtigen Nervenzellen (Neuronen) in einer kleinen Region im Mittelhirn, der Substantia nigra. Diese Nervenzellen produzieren den Botenstoff Dopamin, der viele Hirnprozesse reguliert. Diese sogenannten dopaminergen Neurone sterben bei Parkinsonpatienten in großer Zahl ab, besonders in der Unterregion Nigrosom 1 in der Substantia nigra. Der resultierende Dopaminmangel verursacht unter anderem die schwerwiegenden motorischen Parkinsonsymptome wie das typische Zittern. Die dopaminergen Neuronen enthalten Eisen in relativ hoher Konzentration, was vermutlich ihr Absterben begünstigt.

Derzeit wird Parkinson erst zehn Jahre nach Beginn dieses Verlusts dopaminerger Neurone diagnostiziert. Zu diesem Zeitpunkt ist etwa die Hälfte dieser Neurone bereits unwiederbringlich verloren. Daher wäre eine frühere Diagnose ein vielversprechender Schritt, um möglicherweise heilende Interventionen optimal und früh genug einsetzen zu können.

MRT-Mikroskopie eisenreicher Neurone

Eine frühere Parkinsondiagnose wäre möglich, wenn man das Absterben dopaminerger Neurone beim lebenden Menschen detektieren könnte. Der hohe Eisengehalt und damit starke Magnetismus der dopaminergen Neurone macht Magnetresonanztomographie (MRT) zu einer vielversprechenden Technik, um diese Neurone zu vermessen. In meiner Dissertation habe ich das Ziel verfolgt, Neurone mittels MRT zu mikroskopieren (Abb. 1). Mit meinen Kooperationspartnern habe ich herausgefunden, dass eisenreiche dopaminerge Neurone sich wie Miniaturmagnete verhalten, die das MRT-Signal unerwartet stark beeinflussen.

Um zu dieser Erkenntnis zu gelangen, mussten wir erst ein schwieriges Problem lösen: MRT kann beim lebenden Menschen keine einzelnen Zellen auflösen, da die Auflösung viel zu gering ist. In einem MRT-Bildpunkt mit der höchsten derzeit möglichen Auflösung befinden sich über 1.000 Neurone. Trotz dieser hohen Zahl machen die dopaminergen Neurone lediglich 5 % des Gewebes aus. Daher ist es nicht ohne Weiteres möglich, diese Neurone zu vermessen.

Wie war es dennoch möglich, aus dem MRT-Signal Informationen über die dopaminergen Neurone zu gewinnen? Hierfür haben wir ein biophysikalisches Modell entwickelt. Basierend auf grundlegenden physikalischen Gleichungen beschreibt dieses Modell den Beitrag verschiedener Zellen zum MRT-Signal, quasi als Brücke zwischen MRT-Aufnahmen und den viel kleineren Zellen. Dieses Modell mündet in eine Formel, die Dichte und Eisenkonzentration von dopaminergen Neuronen aus dem MRT-Signal vorhersagt. Dies ist ein entscheidender Schritt, um das Absterben der Neurone bei Parkinson zu erkennen.

Für unser Modell fehlte allerdings noch eine genaue Charakterisierung der Reaktion eisenreicher Neurone auf ein äußeres Magnetfeld, beispielsweise im MRT. Über MRT-Experimente an Spenderhirnen mit äußerst hoher Auflösung haben wir zum ersten Mal einzelne Neurone mit dem MRT detektiert. Darüber hinaus haben wir mittels Aufnahmen großflächiger Eisenkarten mit zellulärer Auflösung den Eisengehalt derselben Neurone mit Protonen- und Röntgenmikroskopie bestimmt. Überraschenderweise haben wir herausgefunden, dass eisenreiche dopaminerge Neurone deutlich stärkeren Magnetismus aufweisen als andere eisenreiche Zellen. Das erklärt den unerwartet hohen Einfluss der Neurone auf das MRT-Signal – ein glücklicher Umstand, der ihre Vermessung mit klinischer MRT erst ermöglicht.

Physikalisches Verständnis korrigiert Radiologie

Die Region Nigrosom 1 in der Substantia nigra, wo das Neuronensterben bei Parkinson am frühesten beginnt, ist der vielversprechendste Einsatzort unseres MRT-Neuronenmikroskops. Glücklicherweise gibt es ein sehr bekanntes radiologisches Zeichen, das Nigrosom 1 entsprechen soll: das Schwalbenschwanz-Zeichen (Abb. 2). Dieses Zeichen in MRT-Aufnahmen verschwindet bei Parkinson und wird daher zur Diagnose verwendet. Der Verlust des Schwalbenschwanz-Zeichens wurde bisher als Absterben der dopaminergen Neurone in Nigrosom 1 interpretiert.

 

Allerdings steht der MRT-Kontrast des Schwalbenschwanz-Zeichens im Widerspruch zur Vorhersage unseres biophysikalischen Modells: Wir würden erwarten, dass Nigrosom 1 im MRT-Bild dunkel erscheint, wohingegen sich das Schwalbenschwanz-Zeichen hell abzeichnet (Abb. 2).

Um diesen Widerspruch aufzulösen, haben wir die Nigrosome präzise in 3D kartografiert und damit einen Nigrosomatlas erstellt. Dieser Atlas hat es ermöglicht zu zeigen, dass Nigrosom 1 nur teilweise im Schwalbenschwanz-Zeichen liegt, aber nicht mit diesem identisch ist. Das Lehrbuchwissen über die klinische Interpretation des Schwalbenschwanz-Zeichens muss daher revidiert werden: Sein Verschwinden bedeutet nicht den Verlust von Nigrosom 1. Die Website Radiopaedia – quasi die Wikipedia der Radiologie – hat mittlerweile unsere Ergebnisse aufgegriffen, um die korrigierte Interpretation im klinischen Alltag verfügbar zu machen.

Von der MRT-Eisenkarte zur Frühdiagnose

Das von uns entwickelte MRT-Neuronenmikroskop verspricht eine frühere Diagnose von Parkinson. Aktuell wird in der internationalen IronSleep-Studie erprobt, ob eisenreiche dopaminerge Neurone beim lebenden Menschen gemessen werden können und ob dies eine frühere Parkinsondiagnose ermöglicht. Dann könnten derzeit erprobte neuartige Behandlungsmöglichkeiten das Absterben dopaminerger Neurone schon früh bremsen, um die enormen Auswirkungen von Parkinson auf die Patienten, Angehörigen und die Gesellschaft abzumildern.

 

Literaturhinweise

Brammerloh, M.; Sibgatulin, R.; Herrmann, K.-H.; Morawski, M.; Reinert, T.; Jäger, C.; Müller, R.; Falkenberg, G.; Brückner, D.; Pine, K. J.; Deistung, A.; Kiselev, V. G.; Reichenbach, J. R.; Weiskopf, N.; Kirilina, E.
In situ magnetometry of iron in human dopaminergic neurons using superresolution MRI and ion-beam microscopy.
Physical Review X 14(2), 021041 (2024)
Brammerloh, M.; Kirilina, E.; Alkemade, A.; Bazin, P.-L.; Jantzen, C.; Jäger, C.; Herrler, A.; Pine, K. J.; Gowland, P. A.; Morawski, M.; Forstmann, B. U.; Weiskopf, N.
Swallow tail sign: Revisited.
Radiology 305(3), 674-677 (2022)
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