Suche nach dem Ursprung der Sprache: Schimpansen kombinieren Rufe zu Vokalsequenzen

Beweise für strukturierte Vokalsequenzen in der Kommunikation wilder Schimpansen geben Einblicke in die Evolution menschlicher Sprache

20. Mai 2022

Verglichen mit dem komplexen Gebrauch der menschlichen Sprache erscheint die Art und Weise, wie Tiere miteinander kommunizieren, recht einfach. Wie sich unsere Sprache aus einem so einfachen System entwickelt hat, bleibt unklar. Forscher der Max-Planck-Institute für evolutionäre Anthropologie (MPI EVA) und für Kognitions- und Neurowissenschaften (MPI CBS) in Leipzig und des CNRS-Instituts für Kognitionswissenschaften in Bron, Lyon, zeichneten Tausende von Vokalisationen von wilden Schimpansen in Taï, Elfenbeinküste, auf. Sie fanden heraus, dass die Tiere Hunderte von verschiedenen Vokalsequenzen mit bis zu zehn verschiedenen Ruftypen produzierten. Die Reihenfolge der Rufe in diesen Sequenzen folgte bestimmten Regeln, und die Rufe waren auf strukturierte Weise miteinander verbunden. Die Forscher werden nun untersuchen, ob diese Struktur einen Schritt in Richtung menschlicher Grammatik darstellt und ob Schimpansen diese Sequenzen nutzen, um in ihrem komplexen sozialen Umfeld eine größere Bandbreite an Bedeutungen zu kommunizieren.
 

Der Mensch ist die einzige bekannte Spezies auf der Erde, die Sprache verwendet. Wir tun dies, indem wir Laute zu Wörtern und Wörter zu hierarchisch strukturierten Sätzen zusammensetzen. Die Frage, woher diese außergewöhnliche Fähigkeit stammt, ist noch nicht geklärt. Um den evolutionären Ursprung der menschlichen Sprache zurückzuverfolgen, verwenden Forscher häufig einen vergleichenden Ansatz: Sie vergleichen die Stimmproduktion anderer Tiere, insbesondere von Primaten, mit der des Menschen. Im Gegensatz zum Menschen verwenden nicht-menschliche Primaten häufig einzelne Rufe, sogenannte Ruftypen, und kombinieren diese in Einzelfällen miteinander, um Vokalsequenzen zu bilden.

Folglich scheint die vokale Kommunikation bei nicht-menschlichen Primaten viel weniger komplex zu sein als die menschliche Kommunikation. Die Komplexität der menschlichen Sprache ergibt sich jedoch nicht aus der Anzahl der Laute, die wir beim Sprechen verwenden, die in den meisten Sprachen unter 50 verschiedenen Lauten liegt. Sie ergibt sich aus der Art und Weise, wie wir Laute auf strukturierte Weise zu Wörtern kombinieren und diese Wörter hierarchisch zu Sätzen zusammensetzen. Dadurch lässt sich wiederum eine unendliche Anzahl von Bedeutungen ausdrücken. Tatsächlich verwenden auch nicht-menschliche Primaten bis zu 38 verschiedene Rufe, um zu kommunizieren. Sie kombinieren diese Rufe aber nur selten miteinander. Bislang wurden diese Rufe jedoch nicht im Detail analysiert. Uns fehlte ein vollständiges Bild von der Struktur und Vielfalt der von nicht-menschlichen Primaten produzierten Vokalsequenzen.

Forscher des MPI CBS und des MPI EVA in Leipzig sowie des Instituts für Kognitionswissenschaften am CNRS in Bron, Lyon, Frankreich, zeichneten Tausende von Lauten auf, die von den Mitgliedern dreier Gruppen wild lebender Schimpansen im Taï-Nationalpark in der Elfenbeinküste erzeugt wurden. Sie identifizierten 12 verschiedene Ruftypen und untersuchten, wie die Schimpansen sie zu Gesangssequenzen kombinieren. "Die Beobachtung von Tieren in ihrem natürlichen sozialen und ökologischen Umfeld offenbart eine bisher unentdeckte Komplexität in der Art und Weise, wie sie kommunizieren", sagt Cédric Girard-Buttoz, Erstautor der Studie, die jetzt im Fachmagazin Communications Biology erschienen ist. "Die Grammatik ist ein Kennzeichen der menschlichen Sprache, und um den Ursprung dieser menschlichen Fähigkeit zu ergründen, ist es von entscheidender Bedeutung zu verstehen, wie die Vokalisationen nicht-menschlicher Primaten strukturiert sind", fügt Co-Hauptautor Emiliano Zaccarella vom MPI CBS hinzu.

Die Studie zeigt, dass Schimpansen miteinander kommunizieren, indem sie Hunderte von verschiedenen Sequenzen verwenden und bis zu zehn verschiedene Rufe in ihrem gesamten Repertoire kombinieren. Dies ist die erste Dokumentation einer derartigen Vielfalt der Stimmproduktion bei nicht-menschlichen Primaten. Darüber hinaus zeigen die Forscher, dass die Rufe – in Kombination mit bestimmten anderen Rufen – vorhersehbar an bestimmten Positionen in der Sequenz auftraten.

"Unsere Ergebnisse zeigen, dass das vokale Kommunikationssystem der Schimpansen viel komplexer und strukturierter ist als bisher angenommen", sagt Mitautorin Tatiana Bortolato, die die Rufe im Wald aufgenommen hat. "Dies ist die erste Studie im Rahmen eines größeren Projekts. Durch die Untersuchung der reichhaltigen Komplexität der Vokalsequenzen von wilden Schimpansen, einer sozial komplexen Spezies wie der Mensch, erwarten wir neue Erkenntnisse darüber, woher wir kommen und wie sich unsere einzigartige Sprache entwickelt hat", betont Catherine Crockford, Hauptautorin der Studie.

Die Autoren werden nun untersuchen, was diese komplexen und strukturierten Vokalsequenzen bedeuten und ob sie es den Schimpansen ermöglichen, das Spektrum der Themen, über die sie kommunizieren können, zu erweitern.

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