Drei Fragen an...
Lara Puhlmann und Esra Al, die Gewinnerinnen der diesjährigen Otto-Hahn-Medaille, im Kurzinterview.
Die Max-Planck-Gesellschaft ehrt jedes Jahr junge WissenschaftlerInnen mit der Otto-Hahn-Medaille für herausragende wissenschaftliche Leistungen. In diesem Jahr erhielten Lara Puhlmann und Esra Al vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften (MPI CBS) zwei der begehrten Auszeichnungen.
Jedes Jahr ehrt die Max-Planck-Gesellschaft im Rahmen ihrer Jahrestagung einige herausragende Leistungen ihrer Doktorand*innen und Postdocs mit der Otto-Hahn-Medaille. Wie nur wenige andere verkörperte Otto Hahn in seinem Leben wissenschaftliche Exzellenz und das Streben nach Fortschritt auf persönlicher und gesellschaftlicher Ebene. Als Präsident leitete er ab 1946 die erfolgreiche Umwandlung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft in die Max-Planck-Gesellschaft.
In diesem Jahr erhielten zwei Wissenschaftlerinnen des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften (MPI CBS) zwei der begehrten Auszeichnungen: Lara Puhlmann, die sich mit der Erforschung von Langzeitstress beschäftigt, und Esra Al, die untersucht, wie das Herz unsere Wahrnehmung und Verarbeitung von Sinnesinformationen beeinflusst. In drei Fragen erklären sie, worum es geht.
Lara Puhlmann, ehem. Forschungsgruppe Sozialer Stress und Familiengesundheit
Ihre Dissertation wurde gerade mit der Otto-Hahn-Medaille ausgezeichnet. Was macht Ihre Arbeit so besonders?
Meine Arbeit wurde dafür ausgezeichnet, dass sie eine gesellschaftlich hochrelevante Frage – Wie können wir gesund und stressfrei leben? – auf besonders interdisziplinäre Weise angeht. Konkret untersuchte ich, wie sich ein mentales Training von Meditation und psycho-sozialen Fähigkeiten auf physiologische Biomarker von Stress und stressbedingten Erkrankungen auswirkt. Durch das Training kultivierten Proband*innen unter anderem achtsamkeitsbasierte Aufmerksamkeit, positiven Affekt, Mitgefühl, und Perspektivübernahme. Die Ergebnisse zeigen, dass alle diese verschiedenen Trainingselemente einen wichtigen physiologischen Indikator von Langzeitstress, Ablagerungen des Stresshormons Kortisol im Haar, reduzierten, und zwar um durchschnittlich 25% nach bis zu 9 Monaten. Weitere Biomarker, wie zum Beispiel Entzündungsproteine oder die Telomerlänge, ein Maß unseres biologischen Alters, blieben größtenteils unverändert.
Somit konnte ich also zeigen, dass ein rein mentales Training unsere Stressphysiologie langfristig verbessert. Dabei wurden in unsere Interventionsstudie nur gesunde Teilnehmende aus der allgemeinen Bevölkerung eingeschlossen. Dass auch in dieser nicht außergewöhnlich belasteten Gruppe eine physiologische Stressreduktion erreicht wurde, legt nahe, dass sich das gemeinsame Training von psycho-sozialen Kompetenzen, Achtsamkeit und Meditation zur Prävention stressbedingter Erkrankungen wie Depression eignen könnten. Gleichzeitig verdeutlicht meine Arbeit auch die Grenzen der positiven Trainingseffekte und stellt dar, welche biologischen Systeme sich scheinbar nicht präventiv beeinflussen ließen. Besonders war an meiner Arbeit daher auch die methodische Breite, die nötig ist, um Gesundheitseffekte auf diese Weise ganzheitlicher und systemischer zu betrachten. Meiner Forschungsfrage konnte ich auch nur dank der gemeinsamen Anstrengung eines großen Teams an Mitwirkenden nachgehen.
Insgesamt, und in Anbetracht der oft schwerwiegenden strukturellen und sozialen Determinanten von Stressbelastung und Gesundheit, ist es bemerkenswert, dass mentale Kompetenzen die Physiologie dennoch stark beeinflussen können - und dass diese Fähigkeiten auch formbar zu sein scheinen, mit direkten Auswirkungen auf unsere körperliche Verfassung.
Was ist Ihre Motivation, sich genau mit dem Thema zu beschäftigen?
Ich bin fasziniert davon, wie unsere Psyche unser körperliches Wohlbefinden, und unsere Physiologie unser geistiges Wohlbefinden beeinflussen können. In der Stressforschung ist dieses enge Zusammenspiel von Körper und Geist besonders eindeutig: Psychosoziale Stressoren, wie zum Beispiel Zeitdruck auf der Arbeit, lösen dabei eine zunächst adaptive physiologische Stressreaktion aus. Auf lange Sicht kann diese aber auch zu psychischen Störungen wie Depression, sowie zu körperlichen Leiden wie kardiovaskuläre Erkrankungen führen. Gleichzeitig ist Stress allgegenwärtig, denn seine Facetten reichen von alltäglichen Ärgernissen bis hin zu struktureller Benachteiligung. In meiner Arbeit motiviert mich daher auch die gesellschaftliche Relevanz einer ganzheitlichen, biopsychosozialen Perspektive auf die Gesundheit, und vor allem die neuen Wege zur Prävention stressbedingter Erkrankungen, die sich daraus ergeben.
Die preisgekrönte Dissertation ist in der Tasche. Was kommt als nächstes?
Mittlerweile forsche ich als Postdoktorandin am Leibniz Institut für Resilienzforschung zu der Frage, welche Faktoren dazu beitragen, dass Menschen resilient auf stressreiche Erlebnisse reagieren, also ihr psychisches Wohlbefinden erhalten oder schnell wiedererlangen. Somit betrachte ich neben individuellen psychologischen und physiologischen Veranlagungen auch das Zusammenspiel mit externen Belastungen und Lebensereignissen. Dabei interessiert mich insbesondere, wie wir die psychischen Komponenten der Stressresilienz objektiver und genauer messen können, um so auch deren Integration mit physiologischen Maßen und Verhalten zu verbessern. Aktuell untersuche ich daher, ob sich so genannte digitale Biomarker wie Stimmlage und Gesichtsausdrücke als objektivere Indikatoren psychischen Wohlbefindens nutzen lassen. Dieser Frage werde ich nächstes Jahr auch als Fellow im College for Life Sciences am Wissenschaftskolleg zu Berlin nachgehen.
Esra Al, Abteilung Neurologie
Ihre Dissertation wurde gerade mit der Otto-Hahn-Medaille ausgezeichnet. Was macht Ihre Arbeit so besonders?
Wir betrachten das Gehirn als das Zentrum unseres Seins, das unsere Sinne, Bewegungen, Gedanken und Erinnerungen steuert. Es ist jedoch wichtig zu erkennen, dass das Gehirn eng mit dem Körper verbunden ist, und diese Verbindung funktioniert in beide Richtungen. Die inneren Organe des Körpers spielen eine entscheidende Rolle bei der Übermittlung wichtiger Informationen an das Gehirn und haben einen tiefgreifenden Einfluss darauf, wie wir die Welt wahrnehmen und mit ihr interagieren. Neuere Studien haben den bemerkenswerten Einfluss der Herztätigkeit auf unser subjektives Erleben beleuchtet, der weit über seine traditionelle Rolle bei der Regulierung der Körperfunktionen und des Blutflusses hinausgeht.
In meiner Forschung habe ich die faszinierende Verbindung zwischen Herzsignalen und somatosensorischer Wahrnehmung durch eine Reihe von Experimenten untersucht. Zunächst entdeckten wir, dass das Timing der Reize in Bezug auf die systolische oder diastolische Phase des Herzzyklus die Fähigkeit der Studienteilnehmer*innen beeinflusste, sie zu erkennen und zu lokalisieren. Überraschenderweise war die Wahrnehmung während der Systole, also der Phase, in der sich das Herz zusammenzieht und Blut in den Körper pumpt, reduziert. Außerdem beobachteten wir während der Systole die Unterdrückung einer bestimmten Komponente der Gehirnaktivität, der P300, die mit dem Bewusstsein in Verbindung gebracht wird. Während dieser Phase sagt das Gehirn voraus, dass pulsbezogene Körperveränderungen nicht auf äußere Reize hinweisen, und hilft uns so, die ständige Wahrnehmung unseres Pulses auszublenden. Dieser Mechanismus kann jedoch dazu führen, dass wir schwache Reize, die mit der Systole zusammenfallen, übersehen, obwohl sie tatsächlich vorhanden sind. Diese Ergebnisse unterstreichen die wichtige Rolle des Herzens als Modulator, der unsere Wahrnehmung und Verarbeitung von Sinnesinformationen beeinflusst.
Darüber hinaus entdeckten wir eine weitere faszinierende Wirkung des Herzschlags auf die Wahrnehmung: Wenn Personen eine höhere neuronale Reaktion auf ihren Herzschlag hatten, nahmen sie kommende Reize schlechter wahr. Dieser Effekt lässt sich auf eine Verschiebung der Aufmerksamkeit von externen Umweltsignalen zu internen Herzsignalen zurückführen. Im Wesentlichen scheint eine starke, durch den Herzschlag ausgelöste Reaktion einen "Geisteszustand" widerzuspiegeln, in dem wir uns mehr auf die Funktion unserer inneren Organe, wie z. B. den Blutkreislauf, einstellen, während wir uns gleichzeitig weniger der Reize aus der Außenwelt bewusst sind. Diese Ergebnisse verdeutlichen das komplizierte Zusammenspiel zwischen Herz und Gehirn und unterstreichen deren tiefgreifenden Einfluss auf unsere Wahrnehmung der Umwelt.
Das Verständnis von Mechanismen der Interaktion zwischen Herz und Gehirn ist entscheidend, um die Geheimnisse der bewussten Wahrnehmung zu enträtseln. Durch die Untersuchung der Auswirkungen von Herzsignalen auf die somatosensorische Wahrnehmung trägt meine Forschung zu unserem Verständnis der komplizierten Beziehung zwischen unseren körperlichen Prozessen und unserem subjektiven Erleben bei.
Was ist Ihre Motivation, sich genau mit dem Thema zu beschäftigen?
Meine Motivation, an diesem Thema zu arbeiten, rührt von meiner tiefen Faszination für die sich ständig verändernde Natur unserer Wahrnehmung her. Obwohl wir denselben äußeren Reizen ausgesetzt sind, kann unser subjektives Erleben sehr unterschiedlich sein. Während sich die neurowissenschaftliche Forschung traditionell auf das Gehirn konzentriert, haben neuere Studien den entscheidenden Einfluss unseres Körpers enthüllt, einschließlich der komplizierten Beziehung zwischen unserem Herzschlag und unserer Wahrnehmung. Diese Erkenntnis hat meine Neugierde geweckt und mich dazu gebracht, zu erforschen, wie das dynamische Zusammenspiel von Körper und Gehirn zu unserem bewussten Erleben beiträgt. Mich treibt der Wunsch an, die Mechanismen zu entschlüsseln, durch die sich Veränderungen in unserem Körper und Gehirn auf unsere Wahrnehmung der Welt auswirken und letztlich unsere bewusste Realität formen.
Die preisgekrönte Dissertation ist in der Tasche. Was kommt als nächstes?
Derzeit konzentriere ich mich als Postdoktorandin an der Columbia University darauf, das faszinierende Gebiet zu erforschen, wie Atem- und Herzsignale zur Formung der Wahrnehmung beitragen. Insbesondere verwende ich intrakranielle neuronale Aufzeichnungen, um die komplizierte Beziehung zwischen diesen Körpersignalen und der subjektiven Erfahrung der Wahrnehmung zu entschlüsseln.
Darüber hinaus untersuche ich die Korrelation zwischen der Kopplung von Körper und Gehirn und Veränderungen des Angstpegels, wobei ich insbesondere untersuchen möchte, ob diese Kopplung durch Erregung vermittelt wird. Durch die Entschlüsselung dieser Verbindungen möchte ich die zugrundeliegenden Mechanismen aufhellen, die unser bewusstes Erleben steuern, und unser Verständnis des komplexen Zusammenspiels zwischen unserem Körper, unserem Gehirn und unserer subjektiven Realität erweitern.
Durch meine kontinuierliche Forschung möchte ich neue Erkenntnisse darüber gewinnen, wie Veränderungen in unserem Körper und Gehirn unsere Wahrnehmung der Welt beeinflussen und letztlich unser bewusstes Erleben formen. Indem ich die Grenzen des Wissens in diesem Bereich verschiebe, hoffe ich, zu einem breiteren Verständnis der menschlichen Kognition beizutragen und den Weg für mögliche Anwendungen in Bereichen wie psychische Gesundheit und Wohlbefinden zu ebnen.