Frühe soziale Entwicklung

Stillerfahrungen beeinflussen Reaktionsweisen auf emotionale Signale

5. Februar 2015

Ob ein Mensch auf emotionale Äußerungen eher mit einer positiv fröhlichen Neigung reagiert oder ob er eher zu ängstlichen Reaktionen neigt, kann man umgangssprachlich als „typabhängig“ beschreiben. Dass die jeweilige Neigung der neuralen Reaktionen auch mit in frühester Kindheit gemachter Stillerfahrung zusammenhängen könnte, legen die Ergebnisse einer neuen Studie aus der Forschungsgruppe „Frühe Soziale Entwicklungen“ unter Leitung von Tobias Grossmann nahe.

Unumstritten ist mittlerweile in der Forschung, dass dem Stillen eine bedeutende Rolle für das gesunde Aufwachsen eines Kindes, insbesondere auch für seine gesunde kognitive Entwicklung zukommt. Inwieweit die Erfahrung des Gestilltwerdens aber auch einen Einfluss auf die soziale und emotionale Entwicklung ausübt, hat bisher selten im Fokus wissenschaftlicher Untersuchungen gestanden. „Das ist eigentlich überraschend, sagt Kathleen Krol, Leiterin der Studie, „weil Stillen schließlich viel mehr ist als nur eine einfache Mahlzeit. Es ist ein komplexer, dynamischer, biologischer aber auch psychologischer Prozess, der von Natur aus sozial ist.“ Die Wissenschaftlerin konnte nun in einer gerade veröffentlichen Studie Daten präsentieren, die einen Zusammenhang zwischen der Zeitspanne, in der Babys ausschließlich gestillt wurden und ihrer neuralen Sensitivität gegenüber fröhlichen Körperausdrücken belegen.

Krol zufolge wiesen die Kinder, die länger ausschließlich gestillt wurden eine signifikant größere neurale Sensitivität gegenüber fröhlichen Körperausdrücken auf als Kinder, bei denen diese Zeitspanne kürzer war. Die Wissenschaftlerin spricht von einer „neuralen Neigung zu Fröhlichkeit oder Ängstlichkeit in Abhängigkeit von der ausschließlichen Stilldauer.“

Die sozial bedeutsame Fähigkeit, emotionale Ausdrücke anderer Menschen deuten zu können, besitzen die meisten Erwachsenen, Babys erwerben sie größtenteils im Laufe ihres ersten Lebensjahres. Vorangegangene Studien haben umfangreich dieses Aufkommen der neuralen Sensitivität gegenüber emotionalen Informationen im ersten Lebensjahr sowie die individuellen Unterschiede dokumentiert. „Es ist nun also sehr wichtig zu erforschen, welche Faktoren die individuellen Differenzen bei dieser Sensitivität beeinflussen, um dann auch das Entstehen von Störungen in diesem emotionalen Prozess besser zu verstehen“, sagt Krol. 

Auf Basis vorangegangener Studienergebnisse hatten die Wissenschaftler zunächst die Hypothese entwickelt, dass länger ausschließlich gestillte Kinder eine höhere Sensitivität gegenüber positiven Emotionen bzw. Ausdrücken aufweisen müssten.

Im Experiment haben die Forscher dann acht Monate alte Babys getestet. Während die Kleinen auf dem Schoß der Mutter saßen, wurden ihnen auf einem Bildschirm ängstliche und fröhliche Körperhaltungen gezeigt. (Abb.) Währenddessen trugen die Babys eine EEG-Haube, mit deren Hilfe die feinen Hirnströme der Kinder aufgezeichnet wurden. Zusätzlich beantworteten die Mütter vielfältige Fragen zum Stillverhalten und zum Verhalten ihrer Babys.

„Die Auswertung der aufgezeichneten EEG-Kurven zeigte, dass Kinder die länger ausschließlich gestillt wurden eine gesteigerte neurale Sensitivität gegenüber positiven Körperausdrücken aufweisen, während Kinder, die kürzer gestillt wurden eine gesteigerte Sensitivität gegenüber negativen Ausdrücken haben“, sagt Krol. Außerdem konnten die Wissenschaftler einen linearen Zusammenhang zwischen Stilldauer und neuraler Orientierung ausmachen: Mit Zunahme der ausschließlichen Stillzeit wechselte die neurale Orientierung hin zu den positiven Expressionen.

Kathleen Krol führt hierfür zwei mögliche Erklärungen an: Zum einen könnte das Ergebnis mit der Funktionsweise des Oxytocins innerhalb des Prozesses zusammenhängen. Ähnlich der Wirkung dieses Hormons bei stillenden Müttern, würde der permanente Einfluss auf das gestillte Baby dessen Sensitivität gegenüber positiven Emotionen steuern. Dann würde also eine Art „Programmiereffekt“ in der sensiblen Phase der emotionalen Entwicklung bei Kindern vorliegen. „Alternativ wäre auch ein andere Erklärung denkbar“, meint Krol: „Möglicherweise ist die stärkere Sensitivität gegenüber negativen Emotionen ein Effekt des früheren Abstillens, bei dem die Kinder einen wichtigen Schritt hin zu mehr Unabhängigkeit von der Mutter vollziehen. Mit dieser Veränderung wird auch die Fokussierung auf ängstliche Ausdrücke oder bedrohliche Informationen aus der Umgebung wichtiger. Länger gestillte Babys dagegen verlassen sich eben länger auf die Mutter und können es sich leisten, negative Emotionen weitgehend zu ignorieren.“

Unabhängig von diesen möglichen Erklärungen hat die vorliegende Studie zunächst gezeigt, welche Rolle das Stillen beim Entstehen individueller Differenzen bei der neuralen Verarbeitung von emotionalen Ausdrücken in der Kindheit spielt und lenkt den Blick der Wissenschaftler auf weitere zu erforschende Fragestellungen hinsichtlich des Einflusses des Stillens auf die soziale und emotionale Entwicklung im frühen Kindesalter.

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