Techtelmechtel im Gehirn - wer hat was mit wem und wann?

Die Beziehungen im Gehirn sind eng. Da werden Millionen Kontakte gepflegt, manche eng wie eine Ehe, manche flüchtig wie eine Affäre. Wissenschaftlich korrekt sprechen Forscher von "funktionellen Konnektivitäten". Demnach basieren die phantastischen Leistungen des Denkorgans auf neuronalen Netzwerken - vielfältig untereinander verknüpften Nervenzell-Ensembles, die parallel arbeiten und auf viele Regionen des Gehirns verteilt sind.

In diesen sich fortwährend selbst organisierenden Gespinsten des Geistes werden die mentalen Prozesse nicht nur von den Signalen beeinflusst, die über die Sinnesorgane hereinströmen, sondern auch von den jeweils herrschenden inneren Zuständen der Netzwerke. Das können Erinnerungen ebenso sein wie Erwartungen. Fast alle Studien der vergangenen Jahre untermauern die Vorstellungen, dass im Denkorgan eine Fülle gleichzeitig aktiver neuronaler Module als Netzwerke agieren, die jeweils elementare Aufgaben erledigen. Erst die Verbindung der einzelnen Areale lässt im Kopf ein Gesamtbild der Welt, Gedanken, Handlungen und Bewusstsein entstehen.

Allerdings verraten selbst die besten Magnetresonanz-Bilder des arbeitenden Gehirns bislang nicht, wie innig die Beziehungen zwischen einzelnen Hirnregionen sind. Welche Areale etwa sind bei den jeweiligen Funktionen wichtiger als andere? Und wie sieht die zeitliche Folge der Aktivierungen aus? "Das ist ein heißes Forschungsgebiet", sagt Gabriele Lohmann vom MPI für Kognitions- und Neurowissenschaften. Zusammen mit ihren Kollegen entwickelt die Mathematikerin neue Programme, die womöglich die brennenden Fragen beantworten.

Rohstoff dieser innovativen Analyse-Modelle sind einerseits die physikalischen Parameter jener unzählbaren Gehirn-Bilder, die die Forscher in der Vergangenheit mit dem funktionellen Magnet-Resonanztomographen (fMRT) geschossen haben, als Testpersonen diverse Aufgaben lösen mussten. Andererseits nutzen die Mathematiker und Informatiker das Wissen über die wenigen bislang gut erforschten Netzwerke. Bestes Beispiel dafür ist die Verarbeitung von Sehreizen im Gehirn, die nach zahllosen Experimenten bei Tieren einigermaßen geklärt ist. Mit diesen Daten lassen sich die neuen Rechenverfahren füttern - und deren Ergebnisse anhand der bekannten Resultate überprüfen.

Bei einer ihrer neuen Methoden haben sich die MPI-Forscher zunächst die Zeitserien der fMRT-Bilder eines x-beliebigen psychologischen Experiments genauer angesehen. Hintergrund: Während einer definierten Aufgabe macht der Tomograph Tausende Aufnahmen des Gehirns. In den einzelnen Bildpunkten (Pixeln) dieser Fotos gibt es zeitliche Unterschiede in der Aktivität von Hirnregionen. Daraus formen die Mathematiker eine so genannte Korrelationsmatrix, die alle Pixel zu allen Zeitpunkten miteinander vergleicht. Dabei soll das Verfahren errechnen, welche Bildpunkte zueinander phasenversetzt sind. So wollen die Wissenschaftler ermitteln, "wer vor wem dran war", sagt Gabriele Lohmann - und welche Regionen gemeinsam auf einer Frequenz schwingen. Diese müssten dann ein besonders enges Techtelmechtel pflegen. Erste Daten sind vielversprechend.

In einem zweiten Ansatz bauen die Informatiker in ihren Computern einen "Graphen" auf, bestehend aus Knoten und Verbindungen. Die Knoten entsprechen verschiedenen Hirnarealen. Dieser Graph wird gespeist mit bisherigen Daten darüber, welche Beziehungen zwischen den Regionen bestehen könnten. Ein kompliziertes Rechenverfahren soll dann die Richtung der Verbindung klären - wer also wen beeinflusst. Im frontomedianen Kortex etwa, den das Leipziger MPI besonders eingehend beleuchtet, scheinen die Nervensignale eher von vorn nach hinten zu fließen als umgekehrt - was das neue Verfahren bestätigt und umgekehrt den künftigen Wert der Methode andeutet.

Schließlich entwickeln die MPI-Mathematiker einen dritten Algorithmus - basierend auf den so genannten Replikatordynamiken der theoretischen Biologie. Demnach haben besser kooperierende Individuen in einer Gruppe nicht nur bessere Überlebenschancen, sondern werden die anderen auch dominieren. Für diese Modellrechnung bauen die Wissenschaftler wieder eine Korrelationsmatrix auf, die die Replikatordynamiken nach den besten Kooperationspartnern im Gehirn durchforsten. Im Netzwerk des visuellen Kortex weiß man beispielsweise, dass bei Tieren eine V1 genannte Region die anderen dominiert - und genau das ermittelten auch die MPI-Forscher. Freilich dürfen die ersten Erfolge nicht darüber hinwegtäuschen, dass "wir noch längst nicht da sind, wo wir hin wollen", sagt Gabriele Lohmann. "Aber wir haben auch gerade erst angefangen."

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