Virtuelle Welten für Diagnostik und Therapie geistiger Defizite

Das Projekt VReha entwickelt Methoden aus der virtuellen Realität, um Demenz- und Schlaganfallpatienten zu helfen.

5. März 2018

Durch neurologische Erkrankungen wie Schlaganfall oder Demenz verringert sich häufig die geistige Leistungsfähigkeit. Neue Techniken aus dem Bereich der virtuellen Realität sollen helfen, diese genau zu erfassen und gezielt mit den Betroffenen zu trainieren. Forscher aus Wissenschaft und medizinischer Praxis entwickeln daher im Projekt VReha verschiedene Methoden der virtuellen Realität so weiter, dass Betroffene in computeranimierten 3D-Welten verschiedene Aufgaben lösen - und sich so ihre Störungen präziser beobachten und durch Training verbessern lassen.

Herbert Steingart* schneidet Zwiebeln. Noch etwas Salz und Pfeffer, ein bisschen Basilikum hinzu, fertig ist die Tomatensoße und kurz darauf auch sein Nudelgericht. Doch der Duft nach Pasta zieht nicht auf, denn das Ganze spielt sich nur vor seinen Augen ab. Tatsächlich hat er statt eines Küchenmessers einen Controller in der Hand. Zusätzlich trägt er eine Brille, die mit seinem Smartphone verbunden ist und ihm das „Eintauchen“ in eine virtuelle Welt ermöglicht. In diesem Fall eine Küche, in der er virtuell Spaghetti mit Tomatensoße zubereitet. So soll erfasst werden, wie gut er in der Lage ist, komplexe Aufgaben zu lösen, in denen viele einzelne Arbeitsschritte parallel ablaufen müssen.

„Bei Erkrankungen wie einem Schlaganfall werden solche Aufgaben von den Betroffenen häufig anders gelöst als von Menschen ohne Hirnschädigungen. Schlaganfallpatienten leiden etwa unter Konzentrations- und Gedächtnisproblemen und verwechseln so beispielsweise die Reihenfolge der Zwischenschritte einer komplexen Aufgabe“, erklärt Michael Gaebler vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften (MPI
CBS) in Leipzig. „Wir wollen daher Menschen mithilfe virtueller Welten bestimmte Handlungen ausführen lassen und beobachten, wie sie sich zum Beispiel durch unbekannte Räume bewegen, um dabei präzise und digital ihre kognitiven Auffälligkeiten zu erfassen.“

Der Neurowissenschaftler Michael Gaebler ist nur einer der Köpfe hinter dem Projekt VReha, das im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung in den nächsten zwei Jahren Technologien der virtuellen Realität so weiterentwickeln soll, dass damit kognitive Einschränkungen exakter diagnostiziert und durch Training maßgeschneidert verbessert werden können. Mehr als zehn Experten aus Wissenschaft, medizinischer Praxis und Wirtschaft arbeiten in dem Projekt zusammen: Wissenschaftler des MPI CBS und in der Klinik erfahrene Ärzte und Neuropsychologen der Tagesklinik für Kognitive Neurologie am Universitätsklinikum Leipzig und der Klinik für Neurologie der Charité – Universitätsmedizin Berlin.

Forscher des Fraunhofer Heinrich-Hertz-Instituts in Berlin widmen sich wiederum vor allem der Hardware. Sie arbeiten zum Beispiel daran, dass Studienteilnehmer wie Herr Steingart in der virtuellen Küche keinen Controller mehr benötigen und nur durch natürliche Körperbewegungen und Handgesten das Nudelgericht zubereiten können. Neben der Führung des Konsortiums arbeitet das Medizintechnik-Unternehmen HASOMED GmbH aus Magdeburg an einer Plattform, mit der die Ergebnisse der Trainingsverfahren ortsunabhängig erfasst und bewertet werden können.

„Die Diagnostik mit Hilfe virtueller Realitäten hat gegenüber althergebrachten Methoden, bei denen noch mit Bleistift, Papier und Stoppuhr gearbeitet wird, nicht nur den Vorteil, dass
Auffälligkeiten präziser und sofort digital gemessen werden können“, erklärt Angelika Thöne-Otto von der Tagesklinik für Kognitive Neurologie am Universitätsklinikum Leipzig. „Die simulierten Welten lassen sich auch innerhalb eines Trainings verändern. Das heißt, die Testpersonen betreten jedes Mal neue Räume und lösen andere Aufgaben. So können Fort- und Rückschritte besser erfasst und das Training an den individuellen Leistungsstand genauer angepasst werden.”

Diese Entwicklung ist auch möglich, weil in den vergangenen Jahren zunehmend bezahlbare Virtual-Reality-Brillen entwickelt wurden. Ärzte, Psychologen und Neurowissenschaftler sehen großes Potenzial im Einsatz dieser Technologie, um neurologische und psychische Erkrankungen erkennen und behandeln zu können. Doch nicht nur das: Das Ziel des Forscherteams von VReha ist es, die Anwendung solcher Methoden in Zukunft soweit zu vereinfachen, dass sie über das Smartphone und eine eigene App genutzt werden können - so wie im eingangs beschriebenen Testszenario.

VR-Technologien werden in der medizinischen und psychologischen Praxis bereits angewendet, um Stress und Schmerzen oder gar Traumata zu lindern. „Auf diesen Erfolgen wollen wir mit VReha aufbauen und sie auch darauf ausdehnen, kognitive Defizite zu erkennen und zu therapieren“, ergänzt Carsten Finke vom Projektpartner Charité. Die Forscher des Projekts VReha sind zuversichtlich, den Grundstein dafür in den nächsten zwei Jahren legen zu können.

(*Name geändert)

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