Alles schon mal durchgespielt

Wer ein Duett oder im Ensemble spielen will, muss mit anderen harmonieren. Denn das Spiel klingt umso besser, je mehr sich die Musiker miteinander synchronisieren und ihre Bewegungen beim Spiel einander angleichen. Nur wenn jeder Ton zum Spiel der Musikerkollegen passt, gehen die Klänge ineinander auf. "Duettpartner und Orchestermusiker sind ein gutes Beispiel für komplexe und in Echtzeit ablaufende Koordination gemeinsamen Handelns – eine echte Herausforderung für das Gehirn", sagt Peter Keller, Leiter der Nachwuchsgruppe "Musikkognition und Handlung" am Leipziger Max-Planck-Institut.

Der gebürtige Australier kommt aus einer musikalischen Familie. Die Schwester ist in der Heimat eine gefeierte Jazzpianistin, er selbst studierte erst Posaune, dann Musikwissenschaft. "In den vielen Stunden, die wir damals am Instrument übten, wurde mir immer klarer, was für eine komplexe Form sozialen Handelns ein Konzert ist." Sich mit anderen Musikern in Einklang zu bringen ist ein sehr anspruchsvoller Prozess, erklärt Keller, weil zwar einerseits zeitlich alles sehr präzise aufeinander abgestimmt sein müsse, die Musiker aber andererseits immer wieder aus dem Regelmäßigen ausbrechen. Sonst würde ihr Spiel ohne den individuellen Ausdruck mechanisch wirken.

Wenn sie dann eine Note etwas länger halten, spontan das Tempo wechseln und lauter oder leiser werden, müssen sich alle immer wieder aufs Neue einander anpassen. Das erfordert von den Musikern permanente Aufmerksamkeit – und zwar gleich mehrfach: Nicht nur muss jeder der Spielenden auf die Klänge achten, die er selbst produziert, sondern zugleich auch die der anderen und den Gesamtklang überwachen. „Dafür musste es auch eigene kognitive Ressourcen geben“, sagt Keller. Um herauszufinden, wie sich Musiker untereinander synchronisieren und welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten es dabei zwischen verschiedenen Situationen wie Klavierduett, Ensemble oder Chor gibt, werden immer wieder Musiker zu kleinen Konzerten ins Labor eingeladen. Dabei wird auf meist kaum hörbare Nuancen geachtet. Die Forscher benutzen für ihre Tests etwa elektrische Klaviere, weil sich Tastendruckzeiten und die Intensität des Tastenanschlags auf diese Weise sehr genau registrieren und sich auch kleinste Asynchronitäten im Spiel erfassen lassen, die es immer gibt und die sich bei guten Musik¬ensembles im Schnitt zwischen 30 und 50 Millisekunden bewegen. Auf diese Weise haben die Wissenschaftler vor kurzem erstmals gezeigt, wie wichtig Handlungssimulation für die zeitliche Koordination von Handlung ist. Für die Studie spielten Pianisten jeweils einen Part von mehreren für sie bis dahin unbekannten Duetten ein. Einige Monate später wurden sie erneut eingeladen, um den komplementären zweiten Part zu spielen. Mit dem ersten Teil, der vom Band kam, konnten sie sich am besten synchronisieren, wenn es der eigene, von ihnen selbst eingespielte war. "Jeder war sein eigener idealer Duettpartner.“, sagt Keller. „Das simulierte Timing trifft mit dem tatsächlichen Verhalten dann am besten überein, wenn beide das Produkt desselben kognitiv-motorischen Systems sind". Wie Keller und seine Mitarbeiter zudem beobachtet åhaben, schaffen es im Duett spielende Pianisten umso besser, sich mit ihrem Partner zu synchronisieren, je ähnlicher sich ihre Bewegungen beim Spielen sind. Die kleinen Unterschiede des Vor- und Zurückwiegens des Oberkörpers, das wahrscheinlich dabei hilft, den Takt zu halten, erfassten die Forscher mit am Rücken der Musiker angebrachten Motion Capturing Markern, die normalerweise für lebensechte 3-D-Animationen in Filmen benutzt werden. Derzeit überprüfen die Forscher, ob der Zusammenhang zwischen der Ähnlichkeit der Bewegungen und der Synchronisationsfähigkeit im Duett auch bei anderen Instrumenten und in größeren Gruppen besteht. Deshalb tönen zurzeit häufig helle metallische Rhythmen aus dem Laborraum. Auf dem Boden sitzen dann Leipziger Musik-studenten im Halbkreis und spielen Gamelan – eine Musik, die vor allem auf Java, Bali und in Indonesien verbreitet ist und bei der auf kleinen Gongs und topfartigen Trommeln aus Bronze gespielt wird.
Wie bei den Pianisten nutzen die Forscher auch hier das Motion-Capturing-Verfahren, um später im Com¬puter feinste Bewegungsnuancen auswerten zu können. „Dabei sieht man auch Details, die einem sonst entgehen würden – etwa, wer sich an wem ausrichtet, wer beim Spielen eher die anderen führt und wer sich unterordnet“, sagt Keller. Es sei interessant, dass sich oft solche Hierarchien oft wie von selbst ohne Absprache einstellen. Was genau auf kognitiver Ebene dahinter stecke, könne er bis jetzt nur vermuten. Sicher ist aber bereits, dass Profimusiker dabei anders ticken als musikalische Laien. Studien mithilfe der funktionellen Magnetresonanztomografie haben inzwischen gezeigt, dass die Simulationsaktivität im menschlichen Gehirn dann am stärksten ausfällt, wenn die Handlungen, die wir bei anderen wahrnehmen, auch zu unserem eigenen Handlungsrepertoire gehören. Spielt man etwa musikalischen Laien und geübten Pianisten eine Sonate vor, ist bei Letzteren die Aktivität in den motorischen Arealen deutlich größer als bei den Nichtmusikern – sie spielen innerlich mit.

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