Eine Vordenkerin unseres Wirtschaftssystems

Direktorin Tania Singer zu einer der 50 einflussreichsten Frauen der deutschen Wirtschaft gekürt

8. Januar 2016

Sowohl die Topmanager auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos als auch der Dalai Lama lauschen ihr. Das manager magazin kürte Tania Singer nun zu einer der 50 einflussreichsten Frauen der deutschen Wirtschaft. Ihr Credo: Den Homo Oeconomicus gibt es nicht. Ein realistischeres Menschenbild auf neurowissenschaftlicher und psychologisch informierter Grundlage würde unsere Wirtschaft sozialer und nachhaltiger machen.

Bereits lange vor Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 2008 war sie eine der Ersten, die eine wesentliche Grundannahme unseres Wirtschaftssystem anzweifelte: Das Modell des Homo Oeconomicus. Nach dessen Auffassung sei jeder ausschließlich auf den eigenen maximalen Nutzen aus und habe situationsunabhängige, lebenslang stabile Präferenzen. Die Psychologin und Professorin für Soziale Neurowissenschaften hält dagegen, ihre Forschungsergebnisse belegen es: Wir treffen unsere Entscheidungen nicht nur nach unserem höchsten Eigennutz, sondern machen diese auch von einer Reihe anderer psychologischer Faktoren abhängig. Je nach Situation können Motive wie Leistungsmotivation, Macht oder Angst, aber auch die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe und gegenseitige Fürsorge bestimmen, ob wir uns eher selbstsüchtig und kompetitiv oder altruistisch und kooperativ verhalten. "Das bisher verbreitete Menschenbild ist veraltet und vereinfacht und muss durch ein realistischeres ersetzt werden, das auf psychologischen und neurowissenschaftlichen Erkenntnissen beruht", so Tania Singer.

Auf der Grundlage empirischer neurowissenschaftlicher Daten entwickelt sie daher gemeinsam mit Prof. Snower, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft, Modelle, die unser bisheriges Wirtschaftssystem kooperativer, prosozialer und nachhaltig ökonomischer machen können. Modelle, wie das der "Caring Economics", gehen davon aus, dass, Menschen nicht nur durch Eigennutz und finanziellen Gewinn zum Handeln gebracht werden können. Vielmehr können sie auch über Mitgefühl und Gemeinsinn zu mehr globaler Kooperation motiviert werden.

"Entscheidend ist dabei, dass sich Mitgefühl trainieren lässt", erklärt die Direktorin. "Ähnlich wie sich durch Sport Muskeln und körperliche Fitness stärken lassen, können wir auch unsere mentalen Fähigkeiten und unser Gehirn trainieren." Man könne tatsächlich lernen, empathischer zu werden oder andere besser zu verstehen. Ihr Plädoyer daher: "Würden Führungskräfte und Mitarbeiter sich selbst und anderen gegenüber mehr Mitgefühl schulen, würden wir zu einer kooperativeren und verantwortlicheren Wirtschaft gelangen."

Dass sich Empathie lernen lässt, verdanken wir der Plastizität unseres Gehirns. Denn je nach äußeren Einflüssen und Lernprozessen verändern sich seine Nervenzellen und ganze Gehirnareale, so auch jene für soziale Eigenschaften wie Einfühlungsvermögen. Um diese Prozesse noch besser zu verstehen, haben Singer und ihr Team das ReSource Projekt ins Leben gerufen, eines der weltweit größten Forschungsprojekte seiner Art. Darin untersuchen sie zum einen, wie meditationsbasierte und andere mentale Trainingsmethoden genutzt werden können, um unterschiedliche geistige Fähigkeiten wie Aufmerksamkeit oder das Nachempfinden anderer Perspektiven zu üben. Zum anderen wollen sie herausfinden, wie sich diese auf Gehirn, Körper und Gesundheit auswirken.

Diese und andere Ansätze können zu einem ganz neuen Denken im aktuellen Wirtschaftssystem beitragen und bewegten die hochkarätige Jury aus Wirtschaftsprofessoren und Aufsichtsratsvorsitzenden dazu, Tania Singer als "Innovatorin" zu einer der 50 einflussreichsten Frauen der deutschen Wirtschaft zu küren. "Diese Frauen haben sich durchgesetzt", so das Resümee der Jury. "Sie sind Vorbilder und Exoten zugleich."

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