Tarantino goes Neuroscience: Filmklassiker offenbaren, wie unser Gehirn zweideutige Situationen einordnet

27. Juli 2016
Eine Person beleidigt uns, gleichzeitig lächelt sie uns an. Wie soll unser Gehirn das interpretieren? Als Affront oder freundliche Geste? Forscher des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig und der Universität Haifa, Israel, haben nun die neuronalen Mechanismen identifizieren können, die uns eine Situation als positiv oder negativ interpretieren lassen. Gelungen ist ihnen das mit Hilfe von emotional verwirrenden Szenen aus Filmklassikern wie Quentin Tarantino’s “Reservoir Dogs”.

Bekommen wir ein Kompliment, ist das für uns eindeutig positiv. Werden wir beleidigt, ist das ohne Zweifel negativ. Viele soziale Situation lassen sich jedoch keineswegs so einfach deuten: Eine Aussage kann zynisch gemeint sein; eine Person lächelt vordergründig an, führt jedoch Ungutes im Schilde; und ein Satz kann vollkommen unterschiedliche Bedeutungen haben, je nachdem, in welchem Ton er gesagt wird. In all diesen Fällen ist es wichtig, dass unser Gehirn sie angemessen einordnen kann – ansonsten laufen wir Gefahr, unbedarft an eine für uns heikle Situation heranzugehen oder unbegründet in einer eigentlich fröhlichen Atmosphäre beleidigt zu sein. 

Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften (MPI CBS) in Leipzig und der Universität Haifa, Israel, haben nun herausgefunden, wie das Gehirn solche Schwierigkeiten meistert: “Wir haben zwei Areale im Gehirn identifizieren können, die als eine Art Fernbedienung wirken. Sie bestimmen, wie wir eine Situation einschätzen, und welches der beiden Netzwerke an- oder ausgeschaltet wird”, erklärt Studienleiterin Christiane Rohr vom MPI CBS. Demnach ist das eine Netzwerk aktiv, wenn wir eine Szene als erfreulich empfinden, das andere im umgekehrten Fall. Den Wechsel zwischen beiden Empfindungen übernehmen wiederum zwei Bereiche innerhalb dieser Netzwerke: Der sogenannte Sulcus temporalis superior (STS) im Schläfenlappen, der für die Interpretation positiver Ereignisse zuständig ist, und der sogenannte Lobus parietalis inferior (IPL) im Scheitellappen, der aktiv wird, wenn wir sie als negative empfinden. Beide Regionen treten in Aktion, wenn wir mit einer emotional schwierig einzuschätzenden Situation konfrontiert sind.

“Die beiden Regionen scheinen miteinander zu kommunizieren um so herauszufinden, welche von ihnen aktiviert oder inaktiviert wird”, so Hadas Okon-Singer von der Universität Haifa. “Sie legen so vermutlich fest, ob in einer unklaren Situation eher positive oder negative Elemente überwiegen und beeinflussen darüber wiederum andere Hirnbereiche.”

Zu diesen Ergebnissen gelangten die Neurowissenschaftler mit Hilfe emotional verwirrender Filme: Während die Studienteilnehmer in einem funktionellen Magnetresonanztomographen (fMRT) lagen, sahen sie Streifen wie Tarantino’s “Reservoir Dogs”, in dem eine Person eine andere foltert, während sie lacht, tanzt und fröhlich die Unterhaltung mit ihrem Opfer sucht. Im Anschluss an die Filmszenen gaben die Probanden Auskunft darüber, ob für sie darin Konflikte enthalten waren und wie sehr jeweils die positiven oder negativen Elemente überwiegten - sie die Ausschnitte also eher als angenehm oder unangenehm empfanden.

In der Regel gelingt es den meisten Menschen gut, diffizile Situationen entsprechend einzuordnen, einigen jedoch nicht. Für die Betroffenen kann das zu Depressionen, Angstzuständen oder dazu führen, soziale Interaktionen zu vermeiden. Die Neurowissenschaftler Rohr und Okon-Singer hoffen daher, dass ihre Erkenntnisse helfen, die neuronalen Abweichungen der Betroffenen zu identifizieren: “Letztlich wollen wir dazu beitragen, Therapien zu entwickeln, die ihnen helfen, schwierige Situationen adäquater einordnen zu können.“

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