Herausragende Forschung gefördert: Wie wir Objekte wahrnehmen

20. Januar 2022

Martin Hebart vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften erhält eine der begehrten mit 1,5 Millionen Euro dotierten Förderungen des Europäischen Forschungsrates. Der Neurowissenschaftler will damit in den kommenden fünf Jahren herausfinden, an welchen Merkmalen unser visuelles System Objekte erkennt.

Wir sind in der Lage, unsere Umwelt mit Hilfe des visuellen Systems des Gehirns wahrzunehmen. Dadurch können wir Objekte erkennen und sie mit unserem Wissen in Verbindung bringen. All dies geschieht sehr schnell und fast automatisch. Wie genau unser visuelles System diese Aufgabe bewältigt, ist jedoch nach wie vor unklar: Wie schaffen wir es, die Photonen, die auf unsere Netzhaut treffen, in Strukturen in der Umwelt umzuwandeln, denen wir eine Bedeutung zuordnen können?

Seit langem beschäftigt sich die Forschung mit der Frage, wie wahrgenommene Objekte als zu bestimmten Kategorien gehörig erkannt werden. Man weiß bereits seit längerem, dass die visuellen Gehirnregionen in einer Hierarchie arbeiten und zunächst grundlegende Objekteigenschaften wie Kanten, oben oder unten oder krumm oder gerade verarbeiten. Diese Eigenschaften werden dann in höheren visuellen Regionen zu ganzen Objekten zusammengesetzt und schließlich erkannt. Inzwischen ist auch bekannt, dass selbst höhere visuelle Regionen auf die grundlegenden visuellen Merkmale reagieren. Unvollständig ist jedoch das Wissen darüber, welche Informationen in welchen Regionen verarbeitet werden und wie sie von einer Region zur nächsten weitergegeben werden.

Das Ziel von Martin Hebart und seinem Team ist es daher, zum einen herauszufinden, welche Aufgaben einzelne Bereiche des visuellen Systems erfüllen. Reagieren beispielsweise bestimmte Regionen besonders stark auf bestimmte Muster, andere auf bestimmte Arten von Texturen? Zum anderen wollen sie herausfinden, wie viel von dieser Verarbeitung auf die visuellen Eigenschaften des Objekts und wie viel auf das Vorwissen über das Objekt zurückzuführen ist. Mit anderen Worten: Spiegelt die Reaktion einer Hirnregion auf ein Objekt die Kategorie "Hund" wider oder eher die Form, Textur und Farbe eines Hundes?

Untersuchen werden die Wissenschaftler diese Zusammenhänge unter anderem mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomographie und eines Computermodells des visuellen Systems. Bei dem Modell handelt es sich um ein künstliches neuronales Netz, das nach der allgemeinen Struktur des visuellen Systems aufgebaut ist. Verschiedene Teile des neuronalen Netzes entsprechen einzelnen Gehirnregionen. Mit Hilfe des Modells wird die Aktivität in allen Hirnregionen gleichzeitig vorhergesagt. Sehen die Studienteilnehmer demnach verschiedene Objekte, analysieren die Forscher, welche visuellen Hirnregionen bei welchem Verarbeitungsschritt aktiviert werden. Anschließend ermitteln sie, welche Reizcharakteristika die einzelnen Hirnregionen am ehesten aktivieren. Das Besondere an Hebarts Ansatz: Ihr neuronales Netzwerk schlägt ihnen vor, was diese Schlüsselreize sein könnten. „Das funktioniert wie eine Art Orakel, das vorhersagt, welche Reize wir den Teilnehmern zeigen sollten, bevor wir sie messen, um möglichst viel über das visuelle System zu lernen", sagt Hebart.

Hintergrund

Mit den „ERC Starting Grants“ fördert der Europäische Forschungsrat vielversprechende Forscherinnen und Forscher, die am Beginn einer unabhängigen Forschungskarriere stehen. Die Fördermittel, die im Jahr 2022 insgesamt 677 Millionen Euro betragen werden, helfen diesen, ihre eigenen Teams aufzubauen und bahnbrechende Forschung in allen Disziplinen zu betreiben. Die individuellen Forschungsförderungen sind Teil des EU-Programms für Forschung und Innovation, Horizon Europe. Martin Hebart ist einer von 11 Max-Planck-WissenschaftlerInnen, der eine der insgesamt 397 Förderung erhalten hat.

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