Kleinhirn bereitet die Bühne für die sozialen Fähigkeiten von Kindern

19. Juni 2025

Menschliche Interaktion hängt entscheidend von unserer Fähigkeit ab, auf die Gedanken und Absichten anderer Menschen zu schließen - ein Prozess, der allgemein als Theory of Mind oder Mentalisieren bekannt ist. Schon kleine Kinder sind empfänglich für die mentalen Zustände anderer Menschen. Wissenschaftler*innen des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig und des Forschungszentrums Jülich zeigen nun in einer aktuellen Studie in Nature Communications, dass das Kleinhirn als kleiner Teil des Gehirns eine entscheidende Rolle bei der Etablierung der kognitiven Prozesse spielt, die der Theory of Mind in der frühen Kindheit und damit der ungestörten Entwicklung sozialer Fähigkeiten zugrunde liegen.
 

Wir können nicht sehen, was andere Menschen denken, also müssen wir es ableiten, und das ist für unsere Kommunikation als Menschen sehr wichtig. So schaffen wir eine gemeinsame Bedeutung, und so wählen wir unsere Worte, um verstanden zu werden - eine Art geistiges Einfühlungsvermögen entsteht. Ein entscheidender Meilenstein in der Entwicklung der Theory of Mind ist das Alter zwischen 3 und 5 Jahren, eine bahnbrechende Periode, in der Kinder in der Regel beginnen, Aufgaben zum Erkennen falscher Überzeugungen zu lösen, die weithin als entscheidender Test für die Theory of Mind-Fähigkeiten gelten. Diese Aufgaben verlangen von den Kindern, dass sie die falschen Überzeugungen einer Märchenfigur erkennen, typischerweise im Zusammenhang mit den falschen Vorstellungen der Figur über den Ort, den Inhalt oder die Art eines Objekts. Es wird argumentiert, dass das erfolgreiche Bestehen von Aufgaben, bei denen es um falsche Überzeugungen geht, das Entstehen von Repräsentationen der mentalen Zustände anderer widerspiegelt.

Um mehr über diesen kritischen Zeitraum, in dem sich die soziale Kognition entwickelt, herauszufinden, haben die Wissenschaftler um Aikaterina Manoli, Sofie Valk und Charlotte Grosse-Wiesmann vom MPI CBS Daten von 41 Kindern zwischen 3 und 12 Jahren gesammelt. "Wir haben zunächst versucht, Cluster zu identifizieren, die während der Theory of Mind-Verarbeitung im sich entwickelnden Kleinhirn generell aktiviert werden, unabhängig von den Theory of Mind-Fähigkeiten der Kinder. Die Kinder sahen sich in einem Magnetresonanztomographen Filme an, während ihre Gehirnaktivität aufgezeichnet wurde. Dieser Test mit Filmszenen zeigte eine signifikante Beteiligung des Kleinhirns, einer Hirnregion, die vor allem für motorische Funktionen, aber neuerdings auch für Sprache und Kognition bekannt ist", erklärt Aikaterina Manoli, Erstautorin der Studie. Ihr und ihren Kolleginnen zufolge weisen pädiatrische Befunde darauf hin, dass frühkindliche Kleinhirnverletzungen häufig zu schweren und anhaltenden Veränderungen des Sozialverhaltens führen, die häufig im Zusammenhang mit neurologischen und psychiatrischen Störungen wie Autismus-Spektrum-Störungen (ASD) und Schizophrenie beobachtet werden. "Wir wissen aus Läsionsstudien, dass es viel schwieriger ist, sich von einer Verletzung des Kleinhirns zu erholen, wenn man sie in jungen Jahren erleidet, als wenn man sie als Erwachsener erleidet. Wir haben festgestellt, dass das Kleinhirn bei Kindern mehr Informationen an die Großhirnrinde weitergibt, während bei Erwachsenen die Großhirnrinde mehr Informationen an das Kleinhirn weitergibt. Es findet also eine Art umgekehrter Kreislauf statt. Wir denken daher, dass das Kleinhirn die Voraussetzungen für die Entstehung kortikaler Prozesse in der Kindheit schafft", sagt Manoli.

„Unsere Ergebnisse deuten auf einen signifikanten Zusammenhang zwischen frühkindlichen Veränderungen im Kleinhirn und der Entwicklung der Theory of Mind hin, insofern als das Kleinhirn Informationen speichert, die die spätere Vorhersage von mentalen Zuständen unterstützen“, sagt Sofie Valk, die sich die letzte Autorenschaft mit Charlotte Grosse Wiesmann teilt. "Unsere Ergebnisse decken sich auch mit Hinweisen darauf, dass die sozio-kognitiven Defizite von ASD mit funktionellen und strukturellen Anomalien des Kleinhirns verbunden sind. Es wäre interessant, die Funktion der Kleinhirnaktivierung bei jüngeren Kindern und Säuglingen zu untersuchen. Obwohl die verbale Theory of Mind erst im Alter von 3 bis 5 Jahren auftritt, scheinen Kleinkinder unter 2 Jahren bei nonverbalen Aufgaben bereits den mentalen Zustand anderer zu berücksichtigen. In künftigen Studien sollte untersucht werden, inwieweit verschiedene Hirnregionen mit den bei Säuglingen beobachteten nonverbalen Fähigkeiten zusammenhängen.

Weitere interessante Beiträge

Zur Redakteursansicht