Mein Vogel, Dein Stier?

Musik weckt kulturbedingte Assoziationen

4. September 2013

Emotionen in der Musik werden interkulturell verstanden, andere Assoziationen mit bestimmten Bedeutungen dagegen sind kulturell geprägt. Aber nur, wenn die Musik für uns eine Bedeutung trägt, schätzen wir sie, wie eine Studie des MPI belegt.
Thomas Fritz beschäftigt sich mit Musik und ihrer Universalität. Wird Musik überall auf der Welt gleich verstanden und interpretiert? Um dieser und anderen Fragen näherzukommen, reiste Fritz vor einigen Jahren mit viel Musik im Gepäck nach Afrika. Hier wollte er bei den zum Teil nach wie vor sehr traditionell lebenden Mafa, einer Volksgruppe in Nordkamerun, Rätseln der Musikwahrnehmung auf den Grund gehen.


Fritz’ Ergebnisse zeigten zunächst eine gewisse Universalität des Aspektes Emotion in der Musikwahrnehmung: „Es wurde schnell klar, dass eine Reihe von emotionalen Ausdrücken in westlicher Musik sehr wahrscheinlich interkulturell verstanden werden.“ Denn auch die traditionell lebenden Mafa konnten der westlichen Musik, die ihnen bis dahin völlig unbekannt war, emotionale Attribute wie fröhlich, traurig oder bedrohlich zuordnen und unterschieden sich hier nicht wesentlich von den Eingruppierungen westlicher Probanden.
An diese Ergebnisse anknüpfend, forschte Fritz weiter, um einen anderen Aspekt der Mu-sikwahrnehmung aufzuklären. „Wie ist das mit der bildhaften Bedeutung, den Assoziationen, die Musik weckt?“, fragte sich der Wissenschaftler. „Würde beispielsweise ein Musikstück, dass bei einem westlichen Musikhörer die Assoziation „Weite“ hervorruft, eine identische oder ähnliche Assoziation bei kulturell anders geprägten Menschen wecken? Wie steht es mit der bildhaften Bedeutung von Musik, und welche Folgen hat dies für die Wertschätzung, die ein Hörer der Musik entgegenbringt?“

Um dies zu klären, erstellten Fritz und Kollegen Assoziationsprofile für eine Palette ver-schiedener westlicher Musikstücke. Dabei ordneten die Forscher den Musikstücken jeweils drei Begriffe zu, die von westlichen Hörern entweder als voll zutreffend, nicht besonders gut passend oder gar konträr wahrgenommen wurden. Als der Forscher diese Musikstücke den Mafa vorspielte, sie nach ihren Assoziationen befragte und aus den drei Begriffen den für sie treffendsten wählen ließ, kam er zu erstaunlichen Ergebnissen.
„Einige wenige der Assoziationen funktionierten auch bei den Mafa, zum Beispiel die Bedeutungsbegriffe Frieden oder Morgen“, erklärt Fritz. Bei den meisten Assoziationsprofilen gab es jedoch keine Übereinstimmungen. „Beispielsweise spielten wir den Mafa ein Stück vor, das bei den deutschen Probanden fast ausnahmslos die Assoziation Vogel geweckt hatte. Die Mafa hingegen assoziierten es mehrheitlich mit dem Begriff Stier.“ Auch die Bedeutung Streit ordneten die Mafa dem von den deutschen Hörern als passend empfundenen Musikstück überhaupt nicht zu. Allerdings blieben die Assoziationsprofile der Mafa in sich weitgehend konsistent– wie bei westlichen Hörern auch.

„Daraus schließen wir“, so Fritz, „dass die konkrete bildhafte Bedeutung, die ein Hörer mit der Musikwahrnehmung assoziiert, größtenteils ein Ergebnis kultureller Prägung ist, oder zwar zu einem kleinen Anteil interkulturell transportiert wird, aber besonders leicht durch eigene kulturelle Assoziationen der Mafa überschrieben wird. Es ist jedoch auch möglich, dass bestimmte assoziative Eigenschaften sehr wohl durch Musik übertragen werden, die Dinge und Begriffe jedoch in verschiedenen geographischen und kulturellen Kreisen mit ganz anderen Eigenschaften assoziiert werden. Beispielsweise ist die Sonne in Deutschland meist erfreulich konnotiert, in Kamerun dagegen auch mal mit bedrohlich oder tödlich.“. Bildhafte Bedeutung in Musik stellt also eher keinen universellen Aspekt der Musik dar. So erklärt sich z.B. die Assoziation Stier bei dem Musikstück, dem westliche Hörer Vogel zugeordnet hatten, sehr wahrscheinlich aus dem kulturellen Hintergrund der Mafa. – Sie feiern alle drei Jahre das für sie enorm wichtige Stierfest und zu diesem wird besonders ausgiebig Flötenmusik gespielt.

Bei den Studien wurde außerdem deutlich, dass die westlichen Musikstücke von den Mafa immer dann stärker wertgeschätzt wurden, wenn ihre Assoziationen dichter an den Assoziationsprofilen der westlichen Hörer lagen. Spielte man ihnen dann die wertgeschätzten Stücke rückwärts vor und zerstörte damit die assoziierte Bedeutung, erfuhren die Musikstücke auch eine stärkere Ablehnung. „Musik verstehen, durch bewusste aber auch unbewusste Assoziationen, ist ausschlaggebend für die Wertschätzung von Musik schlechthin“, schlussfolgert Fritz.

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