Singen nach Schlaganfall: Rhythmus und Floskeln sind wichtiger als Melodie

Schlaganfall-Patienten mit schweren Sprachstörungen können oft noch ganze Texte singen. Doch entscheidend dafür ist nicht die Melodie.

22. September 2011

Wie sich zeigte, war das Singen für die Sprachproduktion keineswegs entscheidend. Im Vergleich zum rhythmischen Sprechen hatte es keinen zusätzlichen Effekt. „Das Entscheidende am Singen war bei unseren Patienten also nicht die Melodie, sondern der Rhythmus“, sagt Stahl. Ein Rhythmuseffekt ließ sich besonders bei Patienten beobachten, deren Infarkt sich über eine tieferliegende Hirnregion erstreckte, die sogenannten Basalganglien. Diese sind unter anderem an der Rhythmusverarbeitung beteiligt, wie schon länger bekannt ist.

Von noch größerer Bedeutung als der Rhythmus waren für die Patienten jedoch offenbar die Floskelhaftigkeit und Vertrautheit der Liedtexte. Der Artikulation von Sprachfloskeln und Liedtexten könnte demnach ein anderer Mechanismus im Gehirn zugrunde liegen als der Spontansprache, vermutet Stahl. Alltagsfloskeln wie ‚Alles klar?‘ sind motorisch hochautomatisiert, und geläufige Liedtexte wie ‚Hänschen klein‘ können durchaus aus dem Langzeitgedächtnis abgerufen werden. Floskeln oder bekannte Liedtexte gehen den Patienten daher wohl leichter über die Lippen – ganz unabhängig davon, ob sie gesungen oder im Rhythmus gesprochen werden.

Auch wenn die Ergebnisse noch keine direkten Schlüsse auf die Therapie erlauben, stellen sie doch die heilsame Wirkung des Singens bei Aphasie in Frage. Tatsächlich könnten Erfolge von Singtherapien nicht auf Gesang, sondern auf Rhythmus und Floskelhaftigkeit beruhen. Gegenwärtig führt Benjamin Stahl weitere Studien durch mit dem Ziel, Rhythmus und Floskeln für die Therapie besser nutzbar zu machen. Eine gezieltere Behandlung könnte Schlaganfall-Patienten das tägliche Leben sehr erleichtern. „Für Menschen mit Aphasie, die sich teilweise über Jahre kaum sprachlich verständigen können, bedeutet jeder kleine Zugewinn sehr viel“, sagt der Forscher.

Originalpublikation:

http://brain.oxfordjournals.org/content/early/2011/09/21/brain.awr240.full

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