Auf der Fährte der Nervenkabel - Nuclear Magnetic Resonance

Noch kommt es den Forschern vor wie ein Irrgarten - das Netz der Nervenkabel im Gehirn. Über diese "Axone", gebündelt in der weißen Masse, tauschen die Neuronen ihre Botschaften aus. Doch nicht alle Regionen des Kopfes sind gleich gut über die Kommunikationswege verbunden. Einige pflegen engere Beziehungen mit ihren Partnern als andere. Zudem gibt es neben den großen offensichtlichen Faserbündeln, sozusagen neuronalen Autobahnen, viele kleinere, die eher an Kreisstraßen erinnern. Gleichwohl sind sie wichtig, waren bislang aber nicht im lebenden Körper zu untersuchen. Doch erstmals haben Wissenschaftler eine Technik zu bieten, die womöglich eines Tages einen Verkehrswegeplan der weißen Masse liefern könnte. Mit dieser "diffusion tensor imaging" (DTI) genannten Methode begibt sich am MPI für Kognitions- und Neurowissenschaften die Arbeitsgruppe "Nuclear Magnetic Resonance" um Harald E. Möller auf die Fährte der Nervenkabel.

Dieses Verfahren ist die neueste Variation der Magnetresonanz-Tomographie (MRT) und beruht auf der Diffusion von Wassermolekülen im Hirngewebe. Was Diffusion bedeutet, kann jeder sehen, wenn er mit einer Pipette einen angefärbten Tropfen in einen Becher reines Wasser entlässt: Langsam wird er sich in alle Richtungen ausbreiten und mit einem sphärischen Muster zerfließen. Doch fällt der Tropfen in Wasser, in dem beispielsweise kleine Holzfasern herumschwimmen, verändert sich entlang der "Fremdkörper" die sphärische Diffusion. Solche Fasern sind im Gehirn die Axone, die aus einem Mark und einer umhüllenden "Myelinscheide" bestehen. Daran entlang, besagen die bisherigen Ergebnisse, diffundieren die Wassermoleküle am schnellsten, rechtwinklig dazu am langsamsten. In fast faserfreiem Gewebe wird sich Wasser am ehesten sphärisch bewegen.

Das bedeutet: Abhängig von Anwesenheit und Struktur der Nervenkabel schwächen sich die magnetischen Signale ab, die die Atomkerne der unterschiedlich wandernden Wassermoleküle in einem Magnetresonanz-Tomographen aussenden. Aus diesen Daten können die Wissenschaftler im Computer eine mathematische Kalkulation aufstellen, den so genannten Tensor. Die Diffusion von Wassermolekülen in einer bestimmten Hirnregion kann darin als Ellipsoid beschrieben werden, dessen Richtung und Gestalt von der Richtung und Gestalt der Axone abhängt. Damit erzeugt der Rechner ein hochaufgelöstes, mikroskopisch feines Bild der Nervenkabel im Gehirn. So können die Wissenschaftler theoretisch ermitteln, ob die Myelinscheiden intakt sind. Denn verletzte Axone verändern das Magnetsignal. Auf diese Weise könnte die DTI die langfristig Diagnose der Multiplen Sklerose verbessern. Bei dieser Erkrankung werden gerade die Hüllen der Nervenkabel zerstört. Und sehr kleine Schädigungen bleiben bislang unentdeckt.

DTI-Untersuchungen des MPI-Teams deuten an, dass Hirnregionen, die im "Grundstoffwechsel" des Gehirns sehr eng zusammenarbeiten, ähnliche Schwankungen in den magnetischen Signalen zeigen. Bereiche mit gleicher Diffusionsrichtung scheinen offensichtlich enger verbunden zu sein. Bestätigen sich diese Daten in weiteren Studien, könnte die DTI-Technik zu einer Kartierung des Gehirns sozusagen "in Ruhe" führen. So ließe sich auch nachweisen, welche Hirnregionen sich üblicherweise über eine direkte Verbindung unterhalten und welche nur über ein gemeinsam angesteuertes drittes Areal verbunden sind.

Damit ist die DTI eine jener hoffnungsvollen Methoden, die die "funktionelle Konnektivität" des Gehirns aufdecken sollen. Und wenn diese Grundstruktur des Gehirns einmal ermittelt wäre, könnten Mediziner beispielsweise die Folgen eines Schlaganfalls viel besser abschätzen. Ein Schlaganfall zerstört nämlich nicht nur ein eng umrissenes Gebiet. Vielmehr fallen indirekt auch jene Hirnregionen aus, die von dem Infarktareal über die Axone regelmäßig Botschaften empfangen. Ob die DTI letztlich auch Rückschlüsse über wichtige Funktionen im Gehirn ermöglicht, muss sich allerdings erst zeigen. Noch steht die Entwicklung erst am Anfang.

In der herkömmlichen fMRT werden Kontraste durch den so genannten BOLD (für Blood Oxygen Level Dependent)-Effekt erzielt. Eine nach einem experimentellen Stimulus aktivierte Hirnregion verbraucht mehr Sauerstoff, der durch das Blut herangeschafft wird. Diese Änderung der Sauerstoffkonzentration tritt zwar erst mit fünf bis sechs Sekunden Verzögerung ein, führt letztlich aber im Tomographen zu einem magnetischen Signal und zu einem Schichtbild des aktivierten Gewebes. Allerdings ist der theoretische Hintergrund des BOLD-Signals keineswegs geklärt. Wahrscheinlich wird es durch Dutzende Faktoren erzeugt - Blutfluss und Blutvolumen sind da nur zwei. Die MPI-Wissenschaftler haben ein mathematisches Modell entworfen, wie all diese Parameter in das magnetische Signal einfließen. Hintergrund: In hirnverletzten Patienten bekommen die Forscher bislang keine zuverlässigen Daten und Bilder. Auch bei Kindern im Vorschulalter ist das BOLD-Signal zuweilen seltsam verändert. Das neue Modell soll richtungsweisende Ansätze für künftige Studien mit Patienten liefern. Zudem könnte ein tieferes theoretisches Verständnis zu qualitativ besseren Bildern führen.

Parallel arbeitet das MPI-Team an neuen Methoden, um den Blutfluss im Gehirn bei einem psychologischen Experiment sichtbar zu machen. Verschiedene Ansätze stehen zur Diskussion. Durch eine spezielle Technik sollen beispielsweise in Höhe des Halses die magnetischen Eigenschaften jenes Blutes verändert werden, das in den Kopf einströmt. Erreicht es dann eine aktivierte Hirnregion, kann man die spezifische Zunahme des Blutflusses messen und lokalisieren.

Ungleichmäßigkeiten im magnetischen Feld des Tomographen begründen, dass manche Bereiche des Gehirns nicht vollständig abgetastet werden können. So entstehen "schwarze Löcher" in den Bildern, die keine Informationen hergeben. Die Wissenschaftler arbeiten daran, diese Schwäche zumindest zu reduzieren. Umgekehrt bekommen die Forscher oft überflüssige Informationen, weil sie nur Aufnahmen von der drei Millimeter dicken Großhirnrinde haben wollen. Und die ist bekanntlich gekrümmt, die einzelnen Schichtbilder der fMRT sind hingegen eben. Gerade auf Bildern des unteren Kortex befinden sich "uninteressante" Hirnregionen mit entsprechend viel Datenmüll. Erstmals hat das MPI-Team eine mathematisch aufwändige Technik entwickelt, mit der man gekrümmte Schichtbilder erzeugen kann. Allerdings muss dieses Verfahren für den alltäglichen Einsatz noch reifen.

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