Zweite Sprache, schwere Sprache - was Hänschen nicht lernt ...

Die Menschen der Erde sprechen 6000 Sprachen - und das in nur 200 Ländern. Die babylonische Sprachverwirrung ist groß. Und so scheitern bei einer Auslandsreise oft schon einfache Unterhaltungen, weil es zumindest an Englisch-, Spanisch- oder Französischkenntnissen mangelt. Keine Frage: Wer polyglott parliert, gewinnt Vorteile in Beruf und Freizeit.

Zweisprachigkeit ist deshalb ein wichtiges Forschungsthema im MPI für Kognitions- und Neurowissenschaften. So wird beispielsweise untersucht, wie das Gehirn eine Fremdsprache verarbeitet. Testpersonen sind erwachsene Russen, Holländer, Japaner oder Franzosen, die nach der Pubertät Deutsch gelernt haben. Zwar unterscheiden sie sich im Perfektionsgrad - doch beherrschen sie alle den Grundstock des deutschen Vokabulars. Ihnen werden verschiedene Satzvarianten vorgespielt, deren Grammatik oder Sinngehalt stufenweise verändert ist - von "Das Brot wurde gegessen" (grammatisch richtig und sinnvoll) bis "Das Türschloss wurde im gegessen" (grammatisch und inhaltlich sinnlos). Auf diese Weise lässt sich mit dem Elektroenzephalogramm und der funktionellen Kernspintomographie ermitteln, wann welche Hirngebiete beim Verstehen von Sprache im Normalfall aktiv sind und welche zusätzlich in Problemfällen zu Hilfe gerufen werden.

Offenbar erkennt das Gehirn die Sinnhaftigkeit von Worten in Mutter- und Fremdsprache gleich schnell - und zwar in seinen Schläfenlappen. Allerdings scheint sich das geistige Oberstübchen der schlechteren Fremdsprachler länger mit der Bedeutung von Worten herumzuschlagen. Zudem müssen sich die grauen Zellen in einem korrekten Satz der zweiten Sprache schon so anstrengen wie bei einem falschen Satz in der ersten. Ein Zweitsprachler braucht also für die gleiche Leistung deutlich mehr Ressourcen.

Wenn Fremdsprachler grammatisch falsche Sätze hörten, beobachten die Wissenschaftler nicht die übliche Hirnstrom-Aktivierung in vorderen Hirnarealen, die bei erwachsenen Muttersprachlern so charakteristisch auf eine schnelle grammatische Verarbeitung hinweist. Diese Reaktionsmuster legen nahe, dass grammatische Verarbeitungsprozesse bei Fremdsprachlern nicht automatisiert sind. Das macht das Erlernen fremder Sprachen zur Zerreißprobe. Scheinbar um das elementare Defizit auszugleichen, versuchen die Leute, auf lexikalischer Ebene mitzubekommen, was im Satz eigentlich gesagt worden ist. In punkto Zweisprachigkeit zeigten Fremdsprachler mit besonders gutem Deutsch im linken Vorderhirn eine Aktivierung, die sogar auf eine automatisierte Verarbeitung der Grammatik hindeutet. Das passt zu weltweiten Ergebnissen, wonach bei fast perfekten Fremdsprachlern Erst- und Zweitsprache in den gleichen Hirnarealen lokalisiert ist - was sozusagen als ein neuronales Gütesiegel der Sprachfähigkeiten gelten darf.

Wenn also selbst Erwachsene - unter großen Mühen - so gut werden können, müsste dies für zweisprachig aufwachsende Kinder erst recht unproblematisch sein. Diese These ist Zündstoff für eine Dauerdiskussion der Experten über zweisprachige Erziehung. "Wo immer es möglich ist, sollten Kinder zweisprachig aufwachsen", unterstreicht MPI-Direktorin Angela D. Friederici, "etwas Besseres kann man für sie nicht tun." Viele Pädagogen indes kritisieren, in diesem Fall würden die Mädchen und Jungen keine Sprache richtig lernen. Aber nach den Erkenntnissen der Leipziger Forscher können Kinder die Sprachen sehr wohl auseinander halten. Es sei zwar richtig, dass ihnen beim Deutschsprechen zuweilen ein Wort nicht einfalle und sie statt dessen die entsprechende anderssprachige Vokabel benutzten, "doch sie vermengen niemals die Grammatik."

Eltern sollten darauf achten, dass etwa eine deutschsprachige Mutter nur deutsch mit dem Sprössling redet und der englischsprachige Vater nur englisch. Derart feste Ansprechpartner helfen offenbar bei der ersten Installation der Grammatik, die im Alter von zweieinhalb Jahren nahezu abgeschlossen ist. "Kinder dieses Alters wissen bereits", so Friederici, "dass man im Deutschen im Nebensatz das Verb ans Ende setzt." Schon im ersten Lebensjahr - bevor das Kind irgendein Wort hervorbringt - wird das Gehirn auf die Lautstruktur seiner Muttersprache geeicht. Mit vier Monaten wissen die Kleinen wie die Wörter in ihrer Muttersprache betont werden (Betonung auf der ersten Silbe im Deutschen "Pape" und Betonung auf der zweiten Silbe im Französischen), mit neun Monaten kennen sie schon die typischen Silben ihrer Sprache und erste Wörter. Doch erst im Laufe des neunten Lebensjahrs vollendet das Gehirn seine grammatische Entwicklung. Fortan arbeiten die grauen Zellen des Kindes sprachlich ebenso effektiv wie die eines Erwachsenen.

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