Menschliches Gehirn in 3D und höchster Genauigkeit rekonstruiert

29. April 2022

Eine umfassende Karte des menschlichen Gehirns ist ein lang gehegtes Ziel von Neuroanatomen. Nichtinvasive bildgebende Verfahren wie die Magnetresonanztomographie (MRT) ermöglichen es zwar WissenschaftlerInnen, das gesunde lebende menschliche Gehirn zu untersuchen. Sie liefern aber nur begrenzte anatomische Details. Ein höherer Detaillierungsgrad kann durch Mikroskopie am Gehirn verstorbener Spender erreicht werden. Die konzentriert sich jedoch wiederum meist auf kleine Gehirnstrukturen, die in 2D abgebildet werden. Nun hat ein Team von WissenschaftlerInnen der Universität Amsterdam und des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften MRT und Mikroskopie miteinander kombiniert. Dadurch entstanden 3D-Bilder zweier kompletter Gehirne mit einem bisher unerreichten Detailgrad.

Dank dieser Bilder wird es nun möglich, das Gehirn virtuell zu sezieren. „Wir sind begeistert von all den Möglichkeiten, die sich dadurch für das Fachgebiet ergeben können. Dozenten können die Datensätze zum Beispiel für Neuroanatomie-Trainings oder virtuelle Sektionen nutzen. Und die Möglichkeit, MRT-Ergebnisse mit einzelnen Proteinen zu vergleichen, wird den Forschern mehr Einblick in schlecht verstandene MRT-Beobachtungen geben und mehr anatomische Details über kleine Gehirnstrukturen liefern“, sagt Anneke Alkemade, Neurowissenschaftlerin an der Universität Amsterdam und Erstautorin der zugrundeliegenden Publikation im Fachmagazin Science Advances.

„Wir können dadurch die MRT-Bilder besser mit den zugrundeliegenden biologischen Mikrostrukturen verbinden“, ergänzt Nikolaus Weiskopf, Direktor am MPI CBS und ebenfalls einer der Studienautoren. „Indem wir diese Verbindung verbessern, gelangen wir zu neuen bildgebenden Biomarkern, mit denen sich pathologische Veränderungen viel früher als heute erkennen lassen. Genau das, was es für eine frühzeitige Diagnose und Behandlung von neurodegenerativen Erkrankungen wie Parkinson oder Alzheimer benötigt." Mitautorin Evgeniya Kirilina, ebefalls vom MPI CBS, fügt hinzu: „Es handelt sich um eine einzigartige Ressource zur Untersuchung sehr kleiner, aber sehr wichtiger Gehirnkerne, die das Gehirn mit dem Neurotransmitter Dopamin versorgen.“

Für ihre Arbeiten verwendeten die Forscher ein 7-Tesla-Ultrahochfeld-MRT-System, das über einen stärkeren Magneten verfügt als die routinemäßig in Krankenhäusern verwendeten MRT-Systeme. Die MRT-Software wurde von den Forschern speziell für diese Studien programmiert, um die Unterschiede zwischen lebendem und konserviertem Gewebe zu berücksichtigen. Beim Schneiden des Gewebes wurde jeder Schnitt einzeln fotografiert, um später die Verformung des Gewebes in mikroskopischen Schnitten digital korrigieren zu können. Die einzelnen Hirnschnitte wurden auf speziell bestellte Glasobjektträger gelegt und mit speziell angefertigten Laborgeräten bearbeitet.  

Nach der Digitalisierung der einzelnen Objektträger wurden von den Forschern neue Algorithmen erstellt, um die durch das Schneiden und die Mikroskopie entstandenen Gewebedeformationen zu korrigieren. Nach wochenlangen, ununterbrochenen Berechnungen waren die Forscher schließlich in der Lage, vollständige Rekonstruktionen von zwei einzelnen Gehirnen zu erstellen.

Die gewonnen Daten haben die Forscher nun im Sinne einer offenen Wissenschaft und als Service für die Fachwelt kostenlos zur Verfügung gestellt. Wissenschaftler und andere Interessierte aus der ganzen Welt können nun durch die entstandenen 3D-Rekonstruktionen des menschlichen Gehirns reisen. 

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