Im Bann der Sprache
Ein Gespräch mit der Linguistin, Psychologin und Neurowissenschaftlerin Angela D. Friederici über die rasante Entwicklung der Hirnforschung, den größten Linguisten aller Zeiten und ihren ganz persönlichen Triumph.
Wie Menschen Sprache lernen und was beim Sprechen und Verstehen im Kopf passiert – das fasziniert die Sprachforscherin Angela D. Friederici seit jeher. Durch ihren interdisziplinären Ansatz als Linguistin, Psychologin und Neurowissenschaftlerin hat sie es geschafft, die notorische Kluft zwischen Geistes- und Naturwissenschaft zu überwinden und dieses Medium, in dem wir sprechen und lesen, denken und dichten, mailen und twittern, als Ganzes zu begreifen. Ihre Erkenntnisse machen Friederici zu einer der weltweit renommiertesten Forscherinnen für die Neurobiologie von Sprache. Ein Gespräch mit ihr über die rasante Entwicklung der Hirnforschung, den größten Linguisten aller Zeiten und ihren ganz persönlichen Triumph.
Frau Friederici, heute erlauben uns modernste Computertechniken, dem Gehirn beinahe live dabei zuzusehen, wie es Sprache verarbeitet. Wie hat sich seit Beginn Ihrer Forscherlaufbahn die Sprachforschung verändert?
Rasant! Noch vor rund 40 Jahren konnten wir Erkenntnisse über das Gehirn eigentlich nur am aufgeschnittenen Gehirn gewinnen. Und zwar an Patienten mit einer Hirnschädigung, die dadurch ein Sprachdefizit hatten. Beispielsweise eine Person, die durch einen Schlaganfall nur noch im Telegramstil redete und daher nur noch lose Worte aneinanderreihte. Sie hatte also komplett ihre Grammatik verloren, obwohl ihre Intelligenz ansonsten voll vorhanden war. Unsere Schlussfolgerung daraus: Wenn die Grammatik separat ausfällt und die Wörter ansonsten noch da sind, dann muss das ja auch getrennt voneinander abgespeichert sein. Damals konnte man jedoch erst in das Gehirn des Patienten schauen, nachdem er verstorben war. Sofern ein Patient vor seinem Tod zugestimmt hatte, wurde sein Hirn dann seziert, um zu sehen, wo die Hirnschädigung liegt, welche Bereiche des Gehirns also abgestorben waren. Diese haben wir dann mit den Defiziten in Zusammenhang gebracht. Und das war der Anfang. Wir konnten also noch nicht in das lebende Gehirn schauen.
Wie ging es dann weiter?
Seit rund 15 Jahren können wir mit den modernen bildgebenden Verfahren wie der Magnetresonanztomographie MRT jede einzelne Hirnwindung erkennen. Damit haben sich natürlich auch die Fragen der Hirnforschung verändert. Heute können wir dadurch selbst die Untersysteme der großen Hirnbereiche gut erforschen – also nicht nur, wo Sprache insgesamt verarbeitet wird, sondern wo genau ihre Grammatik, die Bedeutung ihrer Wörter und die Satzmelodie verankert sind.
Das Wo im Gehirn sagt uns aber noch nicht so viel, sondern auch das Was und Wie schnell ist entscheidend. Das können wir dank der Elektroenzephalografie EEG bestimmen, mit der anhand von Spannungsschwankungen an der Kopfoberfläche die elektrische Aktivität des Gehirns gemessen werden kann. Sprachverstehen passiert in Millisekunden: Während wir hier miteinander sprechen, machen Sie sich ja zum Beispiel gerade gar keine Gedanken darüber, wie Sie Sprache verarbeiten. Das funktioniert alles hochautomatisch in insgesamt einer halben Millisekunde – inklusive dem Abgleich, ob Sie über das Gesagte schon etwas wissen.
Wie läuft das denn eigentlich genau ab, ein Wort zu verstehen? Nehmen wir das Beispiel „Baum“.
„Baum“ ist ein einfaches Beispiel. Denn damit assoziieren wir direkt ein Objekt. Zunächst identifizieren wir seine Wortform: „Ok, das muss ein Wort meiner Sprache sein.“ Dann gehen wir in unser mentales Lexikon und grenzen es hier von ähnlichen Worten wie „Ball“ ab, erkennen es als Nomen und finden so seine Bedeutung. Dort sind jedoch nicht alle Details des Wortes „Baum“ gespeichert. Hier kommt ein anderer Bereich unseres Großhirns, der Assoziationscortex, ins Spiel. Er hat die Informationen über alle Bäume, die Sie bisher gesehen oder von denen Sie gehört haben.
Viel mehr gefordert ist unser Sprachverständnis eigentlich bei abstrakten Wörtern wie „weil“. Höre ich dieses Wort, dann weiß ich, dass hier eine Erklärung kommt. Solche Wörter strukturieren Sprache. Und diese Fähigkeit ist es, die uns von reinen Assoziationen, wie sie auch Tiere herstellen können, abgrenzt.
Können wir nur mit Wörtern etwas anfangen, die wir mindestens einmal gehört und in unserem Lexikon abgespeichert haben?
Bei Erwachsenen ist das so. Aber spannend ist es vor allem bei Kindern, die tagtäglich neue Wörter hören. Sie erkennen Wortformen, wenn sie sie häufig hören und bilden damit Assoziationen. Das kindliche System ist da unglaublich aufnahmefähig. Wir haben zum Beispiel Studien gemacht, in denen wir Babys im Alter von 14 Monaten ein von uns gebasteltes Objekt zeigten, das sie noch nie gesehen haben können. Nachdem wir viermal gesagt haben, was das ist, haben sie begriffen, um was es geht. Ist das nicht fantastisch? Viel mehr gefordert ist unser Sprachverständnis natürlich bei abstrakten Wörtern wie „weil“, die die Sprache strukturieren. Diese Wörter werden erst viel später gelernt.
Während wir uns hier unterhalten, spürt man vor allem eines: Ihre Begeisterung für das Thema Sprache. Was fasziniert Sie an diesem Medium besonders?
Es macht den Menschen aus! Wenn einen das nicht interessiert, was sollte es dann sein? (lacht) Es gibt viele Tiere, die miteinander kommunizieren. Aber nur Menschen haben eine wirkliche Sprache. Sprache ist unabhängig von Raum und Zeit. Sie können damit in die Zukunft planen, was ansonsten sehr schwierig wäre. Und sie können natürlich auch Wissen über die Vergangenheit festhalten, was in Bildern nicht so umfassend möglich ist. Denn über Abbildungen lässt sich nicht erklären, weshalb etwas passieren wird oder passiert ist.
Sie sind sowohl Linguistin als auch Psychologin und Neurowissenschaftlerin – Sie betrachten Sprache damit seit jeher aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Warum?
Ich habe diesen dreifachen Ansatz gewählt, um Sprache tatsächlich im Gesamten zu verstehen. Die Linguistik liefert die absolute theoretische Grundlage, das allgemeine Nachdenken über Sprache. Danach wollte ich wissen, wie die geistigen Prozesse ablaufen, während wir Sprache verarbeiten und kam zur Psychologie. Aus meiner Erfahrung mit den Patienten wollte ich letztlich aber auch einen Zugang zu den biologischen Hirnstrukturen haben. Im Grunde kann man das an folgender Frage festmachen, die mich von Anfang an umgetrieben hat: Ist die auf den ersten Blick theoretische Dreiteilung der Sprache in Wortbedeutung, Grammatik und Sprachmelodie überhaupt real biologisch existent? Und heute wissen wir: ja!
Sitzen Sie häufig zwischen den Stühlen dieser drei Disziplinen? Oder mit anderen Worten: Stoßen Sie mit diesen biologischen Erklärungen auf Gegenwehr bei den Linguisten?
Ja! (lacht) Mein ganzes Wissenschaftlerleben war ein gewisser Kampf. Ich wollte immer vermitteln zwischen den Disziplinen und wollte Überzeugungsarbeit leisten, dass nur ein interdisziplinärer Ansatz zu einem vollständigen Bild über Sprache führen kann. Über die Jahre hat sich hier auch eine gewisse Offenheit eingestellt. Unglaublicher Weise zeigt sich das gerade im Falle eines der größten Linguisten aller Zeiten, Noam Chomsky: Er fragte immer, wie der Mensch im Gegensatz zum Affen plötzlich zur Sprache kam. In seinem aktuellen Buch „Why only us?“ gibt er nun eine mögliche Erklärung dafür: Eine neurobiologische Erklärung! Er sieht die von uns beschriebenen Faserbündel, die als Datenautobahnen zwischen den Hirnarealen dienen, um die Informationen in unserem Gehirn hin und her zu transportieren, als das Entscheidende für die menschliche Sprachfähigkeit an. Es ist ein bestimmtes Faserbündel, das es beim Affen so nicht gibt und das bei Kindern unter drei Jahren noch nicht ausgereift ist. – Eine Erklärung, die auf jenen Studien basiert, die hier in unserem Institut durchgeführt wurden.
Der Linguist schlechthin gibt also neurobiologische Erklärungen? Das muss ein Triumph für Sie sein…
Ja, im Grunde schon. Es ist ein Erfolg unserer Arbeit: Chomsky, der immer nur theoretisch über das Sprachwissen gearbeitet hat, nimmt das Gehirn nun als eine mögliche Erklärung auf. Noam und ich, wir haben intensiv darüber diskutiert und nun gemeinsam einen Artikel verfasst. Damit sind die linguistische Theorie und die Neurobiologie zueinander gekommen.
Wir wissen bereits eine Menge über unsere Sprache, auch dank Ihrer Forscherleistung. Vieles liegt jedoch noch im Dunkeln. Welches Rätsel würden Sie gerne noch lösen?
Eine Frage, die mir neben vielen anderen Rätseln unter den Nägeln brennt, ist die, ob und, wenn ja, in welchen Hirnstrukturen sich die von Noam Chomsky prophezeite Universalgrammatik wiederspiegelt. Demnach würden alle Sprachen der Welt nach bestimmten grammatischen Grundregeln funktionieren, die dem Menschen angeboren sind. Wir wollen herausfinden, wie universell die Faserverbindungen zwischen unseren Sprachzentren als biologisches Grundgerüst sind und wie sie sich dann je nach sprachlichem Input anpassen.
Abschließend noch ein Rat von Ihnen an die Politik zur aktuellen Flüchtlingsdebatte, in der Sprache mehr und mehr als ein Schlüssel zur Integration gilt: Wie müsste dieses Integrieren durch Sprache aussehen?
Deutsch lernen ist definitiv die Grundvoraussetzung für Integration. Aus unseren Studien wissen wir, dass tatsächlich die Grammatik das Fundament ist, um Sprache zu lernen, auch wenn es erstmal mühsam erscheint. Aber ohne sie kommt man bei einer Fremdsprache über ein gewisses Niveau kaum hinaus. Und das muss so früh, so jung wie möglich geschehen. Wörter kann man später immer noch dazu lernen, auch im hohen Alter. Für die aktuelle Situation müssen wir einen Mittelweg wählen und je nach Altersgruppe den richtigen Lernmodus abwägen. Denn es ist tatsächlich so, dass es einen kritischen Zeitpunkt gibt, nach dem die Plastizität und Flexibilität unserer Sprachzentren deutlich abnimmt, sie also deutlich weniger lernfähig werden. Hier muss man also schauen, was je nach Alter sinnvoll ist – mehr Grammatik oder mehr Wörter. Das wollen wir auch in einem bald startenden Forschungsprojekt genauer untersuchen.
Wir sind gespannt auf die Ergebnisse. Frau Friederici, ich danke Ihnen für das Gespräch.
Das Interview führte Verena Müller, Wissenschaftsredakteurin am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig.