Die Suche nach dem Wesentlichen - Signalanalyse von MEG und EEG

Selbst im Schlaf gibt das Gehirn keine Ruhe. Unermüdlich treibt es Körper und Geist des Menschen an. Hier werden 24 Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche Gedanken, Gefühle und Bewusstsein erzeugt. In diesem alltäglichen Treiben des unermesslichen Nervenzellgespinstes untersuchen die Forscher des MPI für Kognitons- und Neurowissenschaften mit ihren Experimenten, wie neuronale Aktivität und eine ganz spezifische Aufgabe zusammenhängen. Wenn die Studien mit den Testpersonen im Magnetenzephalographen (MEG) oder am Elektroenzephalographen (EEG) beendet sind, geht die Arbeit erst richtig los. Die Fragen: Wie lassen sich in diesem Meer der elektrischen bzw. magnetischen Signale diejenigen finden, die die spezifische Antwort des Gehirns auf die gestellte Versuchsaufgabe wiedergeben? Und welche Verfahren setzen die Signale so um, dass letztlich ein plastisches Bild des Gehirns mit den korrekten räumlichen Aktivierungen entsteht?

Für die Signalanalyse und das so genannte Modellieren der MEG- und EEG-Daten aus den sprachlichen Experimenten ist ein Team aus Elektrotechnikern, Mathematikern, Physikern und Informatikern um Burkhard Maess zuständig. Das MEG beispielsweise registriert mit 148 Kanälen die magnetischen Felder und erstellt dabei in Millisekunden-Schritten ein scheinbar chaotisches Bild von Kurven und Zacken, das den zeitlichen Verlauf der Hirnaktivierung spiegelt. Ihr Ort lässt sich daraus nicht direkt ablesen. Zunächst liefern die MEG-Geräte nur eine Art Landkarte der einzelnen magnetischen Messorte - mit einer Farbverteilung, wie sie jeder von der Wetterkarte kennt. Sie beschreibt nur die Magnetfeldverteilung im MEG-Gerät außerhalb des Kopfes.

So stellt sich den Forschern das so genannte "Inverse Problem". Ziel ist es, die außen gemessenen magnetischen Felder einzelnen Arealen im Gehirn der Testpersonen zuzuordnen - und diesen Arealen wiederum bestimmte Funktionen, die mit der gestellten Aufgabe zusammenhängen. Man sucht also nach dem Ort der aktiven Nervenzellen, die die magnetischen Felder erzeugt haben. Für diese Ursachenforschung der besonderen Art braucht es ausgefeilte mathematisch-technische Modellierungen im Computer. Sie werden gespeist mit der räumlichen Anordnung der Mess-Sensoren, der Körpergeometrie und der Leitfähigkeitsverteilung innerhalb und außerhalb des Gehirns.

In einem ersten Schritt erstellen die Forscher ein Kopf-Modell jeder einzelnen Testperson, das auf Magnetresonanz-Tomographie-Aufnahmen beruht. Aus den Helligkeitsunterschieden in den Bildern werden die Grenzflächen berechnet, die Kopfhaut, Schädel, Hirnflüssigkeit und Gehirn abbilden. Diese Grenzschichten sind die Basis für ein dreidimensionales Gittermodell (Boundary Element Model, BEM), das die Geometrie und die Leitfähigkeitsverteilung des Kopfes beschreibt.

Im zweiten Schritt setzen die Wissenschaftler sozusagen winzige Ströme in bestimmte Gebiete des virtuellen Testperson-Gehirns. Die Auswahl der avisierten Regionen beruht auf bisherigen Forschungsergebnissen. Im dritten Schritt werden die Eigenschaften der Ströme - Ort, Richtung und Stärke - durch computergestützte Optimierung so weit verändert, dass das resultierende Magnetfeld dem gemessenen Magnetfeld auf der "Wetterkarte" weitgehend entspricht. So bestimmt dieses "Quellen-Modell" die Orte und die Stärke von Hirnaktivierungen bei einem Experiment. Doch ob die so berechneten Orte mit den tatsächlich im Gehirn aktivierten Regionen übereinstimmen, hängt von diversen Faktoren ab: Die gemessene Magnetfeldverteilung muss beispielsweise weitgehend frei von magnetischen Störfeldern sein. Besonders ungünstig wirken sich Störfelder aus, die etwa im Herzen erzeugt werden, da sich das Rechenverfahren nur auf ein Modell des Kopfes stützt. Außerdem legt die Wahl des Quellenmodells auch die Art der Lösung fest. Erhöht man bei der Berechnung etwa die vermutete Anzahl der aktiven Hirnzentren, können sich die Orte der zuvor ermittelten Aktivitätsschwerpunkte verschieben. Schließlich beschreiben selbst die komplizierteren Computer-Modelle des Kopfes die Wirklichkeit nicht exakt und führen deshalb zu Fehlern.

Die ständige Optimierung der Auswertung sowie die Anpassung und Weiterentwicklung der Methoden gehört daher zu den Aufgaben des Teams um Burkhard Maess. Beispielsweise kann der Einfluss der Herz-Magnetfelder durch zwei neue Verfahren reduziert werden. Beide Methoden berechnen das räumlich-zeitliche Muster der Störungen und versuchen diese aus dem gemessenen Magnetfeld sozusagen abzuziehen.

Die oben beschriebenen BEM - Methoden, welche den Kopf als Dreischicht-Leiter modellieren, sollten als eine erste gute Approximation angesehen werden. Um aber Inhomogenitäten und Richtungsabhängigkeiten in den Materialeigenschaften von Hirngewebe individuell sehr genau zu modellieren, werden rechenintensivere numerische Verfahren wie die Methode der "Finiten Elemente (FE)" benötigt. Insbesondere pathologische Veränderugen der Gewebe bei z.B. Hirntumoren oder Löcher im Schädelknochen nach operativen Eingriffen, können in die FE-Feldberechnungen sehr leicht integriert werden. Im Rahmen eines EU-Projektes entwickelte Carsten Wolters eine auf die Bedürfnisse der kognitiven Hirnforschung angepasste Software.

Neben den Arbeiten für die psychologische Grundlagenforschung engagiert sich das MPI-Team auch in praktisch wichtigen Projekten. So hat es zusammen mit dem neurologischen Rehabilitationszentrum Bennewitz belegt, wie sich Fortschritte in der Rehabilitation von Schlaganfall-Patienten mit dem MEG dokumentieren lassen. Gerade zu Beginn der Rehabilitation sind die Therapieerfolge so klein, dass man sie nicht am Verhalten des Patienten erkennt. Doch ein stärkeres MEG-Signal kann enthüllen, ob die Funktion einer beschädigten Hirnregion von anderen Arealen übernommen wird oder nicht.

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